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Tödliche Liebe - Teil 1: Wie alles begann

"Der Teufel holt einen verliebten Cleriker zu Freiberg"

Beim Herumstöbern im Sächsischen Sagenschatz von Herrn Grässe fand ich die Geschichte über das Schicksal eines armen verliebten geistlichen Schülers:

 

AUSZUG aus der Sagensammlung von Herrn Johann Georg Theodor Grässe, veröffentlicht erstmals 1874:
271. Der Teufel holt einen verliebten Cleriker zu Freiberg.

 Camerarius, Horae subcixivae, Cent. I. No. 70 Moller, Bd. II, S. 19 sq.

 

Es hat sich zu Freiberg ein geistlicher Scholar auf der dasigen Klosterschule heftig in eine schöne Jungfrau verliebt und, weil er sie nicht zu seinem Willen verführen können, Rath und Hilfe bei einem Schwarzkünslter gesucht.....

 

Das klingt gefährlich, höre, wie die Geschichte vielleicht war:

 

kittypinkart / www.pixabay.com
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In Freiberg, im Jahre 1260, so wurde es erzählt und irgendwann aufgeschrieben, da lebte ein junger Mann in der Stadt. Er war noch ein Schüler und besuchte das Priesterseminar. Hier sollte er sich mit den Wissenschaften vertraut machen, aber auch gutes Benehmen und Selbständigkeit lernen. Mutter und Vater zu Hause hatten ihn schweren Herzens aus dem kleinen Fischerhaus am Fluss gehen lassen, aber aus diesem begabten Sohn musste doch etwas werden. Die Hoffnung der Eltern und ihre Liebe begleiteten ihn auf der Reise.

 

Also wohnte Roland, so hieß der junge Mann, schon eine Weile in der bunten Stadt. Fleißig lernte er. Besonders mochte er die griechische und lateinische Sprache. Außer den Sprachen interessierte er sich für Pflanzen und Tiere. Besonders die Gräser und Kräuter hatten es ihm angetan. Er besaß schon ein gut gefülltes Herbarium und fertigte Zeichnungen gesammelter Pflanzen an. Einige seiner Werke hatte er sogar schon verkauft, da manch einer seiner Lehrer solch schön colorierte Zeichnung einer Frauenschuh-Orchidee oder einer blaulila leuchtenden Schwertlilie zu schätzen wusste. So streifte Roland durch die Stadt, durch Wald und Flur, vorbei an den Silbererz-Gruben, den Wassergräben und den zahlreichen Schankwirtschaften und Spelunken, die es am Stadtrand in Grubennähe gab.

 

 

Prawny / www.pixabay.com
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Manchmal hatte er Heimweh, aber er gewöhnte sich an das Leben in der Stadt und dessen Vorteile. Komfortabler war es hier, sicherer, sauberer und - interessanter. Außerdem gab es vielerlei verschiedene Speisen, die in den Läden und auf dem Markt verkauft wurden. Besonders die süßen Zuckerkringel, in Schmalz gebackene kleine Kuchen, hatten es Roland angetan. Wohl fühlte er sich rundherum, hatte er doch hier schon Freunde gefunden und sich in seinem neuen Leben eingerichtet. Auch an die Eltern dachte er, schickte ihnen ab und zu eine Nachricht mit einem kleinen Geschenk. Seine Zeichnungsverkäufe florierten, so konnte er sich das leisten.

 

Es ging ihm wirklich gut.

 

 

kittypinkart / www.pixabay.com
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Doch das änderte sich schlagartig, und zwar an einem Donnerstag im September des Jahres 1260.

 

An diesem spätsommerlichen Tag hatte er in den letzten beiden Schulstunden Latein. Über die Übersetzung eines komplizierten Satzes des Cicero aus einer von dessen berühmten Reden hatte er mit seinem Lehrer noch nach Schulschluss eifrig diskutiert. Lachend hatten sie sich verabschiedet und Roland war der Meinung, nach diesem arbeitsreichen Vormittag ein paar Schmalzkringel extra verdient zu haben.

 

So ging er zum unteren Markt, in Richtung des Meißner Tors, wo immer am Dienstag und am Donnerstag eine freundliche ältere Frau sein Lieblingsgebäck verkaufte. Sie kannte ihn schon, winkte immer von weitem und gab ihm  jedes Mal einen Extrakringel gratis mit. Auch heute war ihr Stand mit der leuchtend blauen Plane an Ort und Stelle, aber die Frau war nicht zu sehen.

 

Statt ihrer trat ein Mädchen hinter der Plane hervor. "Was möchtest Du ? Die Schmalzkringel sind heute besonders süß." sprach sie und lächelte ihn freundlich an. Da war ihm, als ob ein Schwerthieb mitten durch sein Herz ging. Sprachlos starrte er sie an und verstand nicht, was mit ihm passierte. Das Mädchen betrachtete den Verwirrten, schüttelte leicht den Kopf, hörte aber nicht auf zu lächeln. Eine rötliche Locke hatte sich aus der Frisur gelöst und fiel ihr ins Gesicht. "Hier, das wird wohl das Richtige sein." Sie gab ihm das Gebäck und pustete die Haarsträhne aus dem Gesicht. Und wieder lächelte sie.

 

Er stammelte irgendetwas, ließ sein Geld fallen, sammelte es auf und bezahlte. Dann stürzte er davon und riss am benachbarten Töpferstand fast eine große, grün glänzende, teure Schale zu Boden. Sein Kopf dröhnte, ihm war schwindelig. Am hellichten Tag schwankte er leicht, wie ein Betrunkener. Keinem fiel das im Marktgedränge auf. Nur das Mädchen vom Schmalzkringelstand schaute ihm etwas besorgt hinterher.

 

Die Stadt Freiberg / Sachsen (www.pixabay.com / 024-657-834
Die Stadt Freiberg / Sachsen (www.pixabay.com / 024-657-834

 

Das aber bemerkte Roland nicht, weil er sich nicht umsah. Wie im Traum ging er geradeaus, immer weiter. Bis zum Meißner Tor, er verließ die Stadt. In Richtung Conradsdorf lief er achtlos an den Erzgruben vorbei, bis er am Fluß Mulde unten im Tal ankam. Hier stand er endlich still. Was war geschehen ? Es war dieses Mädchen. Sie hatte ihn im Innersten erschreckt, aufgescheucht, beunruhigt - aber auch großes Glück fühlte er. Er setzte sich an das in der Nachmittagssonne glitzernde Wasser und begann, die Schmalzkringel aufzuessen. Einen nach dem anderen. 

 

Das half. Er kam zu sich und überlegte. So musste das mit der Liebe sein, was die Mutter ihm erzählt hatte. Eines Tages, hatte sie gesagt, wirst Du die Richtige treffen. Er war noch ein Junge damals und wollte wissen, woran er diese "Richtige" denn erkennen würde. Nicht, dass es dann doch die Falsche wäre.... Doch Mutter hatte zuversichtlich gemeint, dass er das schon spüren werde, wenn es soweit wäre. Der Vater, der im Hintergrund einen Zaun reparierte, während Roland mit der Mutter auf der Hausbank saß, brummte unwirsch. Offensichtlich war er anderer Meinung als die Mutter und schien von deren Worten nicht überzeugt. Widerspruch war von ihm nicht zu hören, hatte er doch gelernt, wo es Sinn hatte, mit der Frau zu reden. Und wo eben nicht. Und das - mit der "Richtigen" - war so ein Thema, wo er es lieber sein ließ. 

 

Roland merkte das, verstand aber nicht, warum sich die Eltern so merkwürdig verhielten. Er betrachtete sie verstohlen, als hüteten sie ein Geheimnis vor ihm, dass er unbedingt entdecken müsse. Seine Mutter, eine schöne, etwas hagere Frau mit eckigen Schultern, hohen Wangenknochen und leicht schräg stehenden hellen Augen, summte ein Lied, während sie den Fisch für das Essen putzte. Sie lächelte und sah vor sich hin, als ob da irgend etwas wäre, was sich allein ihr zeigte. Eigenartig. Ihr rabenschwarzes, mit einzelnen Silberfäden durchzogenes Haar glänzte. Der Vater wirkte etwas verstimmt, hantierte ruppig am Zaun herum, der auch nichts dafür konnte. Warum denn ? Das alles wegen "der Richtigen" ?

 

Jetzt, nach Jahren, erinnerte Roland sich plötzlich deutlich an diesen Tag und daran, was seine Mutter ihm damals gesagt hatte: "Du wirst es schon wissen, wenn es soweit ist."

 

Plötzlich verstand er alles. Es war so, wie wenn man einen schwierigen Text übersetzen wollte. Man klaubte manchmal an Wörtern, an Satzstücken herum, nichts ergab Sinn. Und wenn doch, dann klang es hölzern, unelegant, stimmte irgendwie nicht. Bis auf einmal der richtige Einfall kam, das fehlende Wort, eine andere Auslegung der Textstelle, eine leichte Umstellung des Satzes. Und auf einmal formte sich alles wie von selbst zu einem perfekten Ganzen. 

 

So wie jetzt.

 

Denn dieses rothaarige Mädchen vom Schmalzkringelstand, das war sie, die "Richtige" für ihn. 

 

Gefestigt und im Glauben, dass sich alles zum Guten hin entwickeln würde, stand Roland auf und lief zurück nach Hause.

 

*** ENDE Teil 1 ***