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The Gate

Was mir blitzartig einfiel....

 

Oben auf dem Bild siehst Du meinen allerersten richtigen Arbeitsweg, also ein Stück davon. Darum geht es. Erst kommt ein wenig Hintergrund, dann löse ich die Geschichte auf am Ende.... also, komm mit:

 

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Nachdem die Lehre abgeschlossen und bevor ans Studieren zu denken war, da musste Erfahrung gesammelt werden. Im wirklichen, echten  Leben (s. auch Artikel "Ernst des Lebens"....HIER).

 

Das wartete auf mich in einem großen Kombinat. Dort arbeitete ich in drei Schichten als sogenannter Operator im Rechenzentrum. Der Operator war ein Maschinenbediener, der an Großrechenanlagen arbeitete. Damals ging das auch schon mit Tastaturen und Schaltern, aber bei dieser Technik war auch noch körperliche Arbeit angesagt. Auch Fummelei. Schwere Datenträger mussten in riesige Lesegeräte (so in Waschmaschinengröße) hinein- und wieder herausgehoben werden. Magnetbänderrollen  verarbeitete man lieber so, dass es keinen Bandsalat gab. Du kennst das vielleicht noch von Deinem alten Kasettenrekorder. Nur hatten hier die Bänderrollen ca. 40 cm Durchmesser, die Lesegeräte waren ungefähr 2 m hoch.... Und von der Qualität der Arbeit im Rechenzentrum hingen zum Beispiel Lohn- und Gehaltsabrechnungen ganzer Kombinatsteile ab.

 

ESER-Rechenanlage aus Dresden von Robotron / www.hnf.de
ESER-Rechenanlage aus Dresden von Robotron / www.hnf.de

 

Ein Bereich dieses Rechenzentrums betrieb damals noch einen alten Robotron-Großrechner aus den 1960er Jahren namens R 300. Ein Relikt, was noch nicht durch die auch hier schon üblichen Großrechner der ESER-Generation ersetzt worden war. Das war eine beeindruckende Anlage, der kleine R 300, der eine winzige Halle füllte. Zentrale des Rechners war das Hauptbedienpult. Hört man diesen Begriff heute, denkt man an etwas Übersichtliches, z. B. von der Firma Siemens. Aber dieses Teil sah für mich damals aus wie ein Bestandteil aus Raumschiff Enterprise. Es hatte eine Menge große Tasten und Schalter, von denen einige bunt blinkten.

 

Ich mochte den R 300 und bewunderte meine Kollegin Simone sehr, die diese ganze Anlage gut kannte und ganz alleine komplett bedienen konnte. Souverän beherrschte sie diese Rechenanlage, lief lässig mit wippender Frisur darin herum, drückt hier eine Taste, las dort eine Fehlermeldung - korrigierte, richtete, beobachtete. Legte Bänder auf, riss Papierausdrucke vom Endlospapier ab und saß ab und zu entspannt auf dem Operatorstuhl vor dem Bedienpult; beobachtete ihren "Robby". Manchmal kommentierte sie mit hochgezogenen Augenbrauen kritisch meine Anfängeraktionen und häufigen Fehler. Niemals war sie herablassend oder unfreundlich, aber immer deutlich.  Das alles, was Simone machte, auch zu können und zu verstehen erschien mir so erstrebenswert wie schwierig.

 

Den guten Robby, wie er auch genannt wurde, gibts sogar auf einem Gemälde. Da wird mancher moderne, viel leistungsstärkere Computer-Kollege von heute vor Neid erblassen bzw. abstürzen.

 

 

"Jugendbrigade ,Albert Einstein’ am Robotron 300” hat Paul Michaelis dieses Ölgemälde im Jahr 1969 genannt. Repro: Heiko Weckbrodt (www.oiger.de)
"Jugendbrigade ,Albert Einstein’ am Robotron 300” hat Paul Michaelis dieses Ölgemälde im Jahr 1969 genannt. Repro: Heiko Weckbrodt (www.oiger.de)

 

Bei youtube habe ich ein Video mit dem alten R 300 gefunden, mein Herz lacht ja. Gucks Dir mal an, wirkt heute alles sehr altmodisch. Und bißchen kuschlig auch.

 

 

Die besondere Arbeitsatmosphäre hier kam dadurch, dass die Arbeitsräume des Rechenzentrums keine Fenster hatten. Sie waren belüftet und teilweise klimatisiert. Bei immer gleichem Neonlicht und meist konstanter Raumtemperatur merkte man nicht, was draußen vor sich ging. Wenn man erst mal drin war. Keine Fenster, durch die man in Bäume oder auf Fabrikhallenwände guckte, in den Himmel oder sonstwohin. Keine Rollos, Jalousien, Vorhänge wurden benötigt, um im Sommer heiße und helle Sonnenstrahlen abzuwehren. Im Winter waren der leise beginnende Schneefall und spätere Flockenwirbel in der Dämmerung, im Herbst Nebel und Regen nicht zu sehen.

 

Egal ob im Juli bei Sommerhitze oder kurz vor Silvester im Schnee. Die Rechenanlagen waren ein konstanter Ort. Ein Auge des Orkans, mag mans dramatisch. Diese immer gleiche Umgebung hatte etwas Besonderes, was mir damals schon gefiel. Es war ein kleines Reich für sich, in das man ein- und nach acht Stunden wieder heraustauchte. Mitten in der Welt und doch ganz anders. Beim Umziehen sah man dann kurz aus dem Fenster der Umkleide und auf seine Privatklamotten, dann wusste man wieder, welche Jahreszeit überhaupt war....

 

Klicke auf das folgende Bild, dann gibts einen interessanten Artikel über Robotron, seine Geschichte und Produkte.

 

 

Worüber ich aber eigentlich doch was erzählen wollte, sind die berühmten Pfosten.

 

Davon standen zwei Stück hinter der Kurve oben auf dem Bild, an jeder Straßenseite einer. Damit keine größeren Fahrzeuge hier einbogen. Außerdem verringerte das die Gefahr des Herausschießens eines Fahrzeugs aus diesem Bereich. Eigentlich. Weil man durch diese Straßenverengung fahren musste. Aber wie gesagt, eigentlich.

 

Als ich dort arbeitete, hatte ich einen Kumpel mit einem neuen Moped. Ein Simson S 50, wie es damals viele hatten. Der fuhr mich manchmal zur Arbeit. Immer die kleine Straße lang, immer wie irre in die Kurve und zwischen den zwei Pfosten durchgeschossen auf die Straße davor. Quiekend und schreiend durch dieses kleine "Tor" zu rasen war ein Riesenspaß und auch Nervenkitzel - wir hatten  Glück, dass nie was passiert ist. The Gate. Ein Gefühl, wie wenns in der Achterbahn runtergeht. 

 

Vor kurzem bin ich da mal wieder langgegangen und habe daran gedacht. Die beiden Pfosten sind weg.

 

Aber wir - sind noch da.

 

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(Bitte jetzt keine Diskussion des Begriffes "Pfosten" in diesem Zusammenhang. Danke.)

 

munkelt im Dunkeln - der Maulwurf
munkelt im Dunkeln - der Maulwurf

 

Während ich schreibe und mich erinnere, ist der Maulwurf verschwunden. Ich gehe ihn suchen und entdecke ihn im Süßigkeitenschrank. Bestimmt "sichtet" er die üppigen Überreste der Weihnachtsleckereien. Auf meine Frage, was er denn da tue, guckt Pawel mich ertappt an und sagt : "Wafff?"

 

Kulturbanause und Pfostenverweigerer, der.