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Enttäuschung

Das Gäbler-Prinzip 

 

Enttäuschung bedeutet Ent-Täuschung. Also eigentlich ja letztendlich was Gutes, wenns auch erst mal schmerzhaft ist, oder ? Will man sich lieber dauerhaft was vormachen ? Manchmal, vielleicht.

 

Man kann von einer Person enttäuscht sein, die sich nicht so verhält, wie man erwartet. Oder von Umständen, von Gegebenheiten, die sich nicht so gestalten, wie man das gedacht hat.

 

Ist ja auch nicht so, das der Enttäuschte immer der Arme ist. Ich kann auch völlig falsche und überzogene Erwartungen haben. Dann bin ich enttäuscht und beleidigt, wenn nicht alles so wird, wie ich dachte. Ich muss begreifen, dass ich schief liege. Und der andere vielleicht Recht hat. Oder das, was ich erwartet habe, gar nicht geht oder zumindest sehr unwahrscheinlich ist.

 

Das heißt, wenn ich enttäuscht bin, versuche ich, nach einer Weile zumindest, die Sache mit Abstand zu betrachten. Kommt ja auch drauf an, worum es geht.

 

Bin ich enttäuscht, weil der Bus nicht kommt ? Oder bin ich enttäuscht, weil mich jemand vor dem Traualtar stehen gelassen hat ? Also, die Bandbreite ist da groß.

 

Aber insgesamt kann man sich sagen: Versuche doch zu verstehen, worum es eigentlich geht. Und sei vor allem nicht beleidigt und voller Selbstmitleid. Denn das bringt gar nichts, nur hindert es Dich klarzusehen.

 

Eine kleine Geschichte zum Thema, pass auf:

 

 

Vor einigen Jahren arbeitete ich in einer Firma X. Dort leitete ich eine Abteilung, wo ich eines Tages ins nähere Gespräch mit einem meiner Mitarbeiter und Kollegen kam. Nennen wir ihn hier mal Herrn Gäbler. Herr Gäbler war ein sehr intelligenter, fleißiger Mensch. Er sprach sehr wenig. Deshalb war es für mich um so interessanter, dass er endlich mal was von sich erzählte.

 

Nun stellte sich heraus, dass Herr Gäbler schon seit vielen Jahren in dieser Firma arbeitete. Und zwar als Facharbeiter, obwohl er einen Studienabschluss hatte. Bei seiner Einstellung vor vielen Jahren hatte man keinen geeigneten Job für ihn und versprach, ihm ein Angebot zu machen, sobald sich etwas ergäbe. Bis es soweit sei, solle Herr Gäbler in einer anderen Position arbeiten. Das machte er dann auch. Und zwar sehr gut.  Zu dieser Zeit hatte man keine große Auswahl, was Arbeitsplätze in Sachsen betraf.

 

Jahre vergingen. Die Qualifikation von Herrn Gäbler schien vergessen. Er selbst war zu schüchtern, sich um eigene Verbesserung an dieser Stelle zu kümmern. Sicher sagte er ab und zu mal was, aber das hat dann keiner weiter verfolgt. Und so verlief es im Sande, obwohl er sich gerne verändert hätte, beruflich.

 

Gäbler blieb, wo er war.

 

Bis jetzt. Mich faszinierte und berührte die Geschichte dieses Mannes. Von seiner Fachkompetenz hatte ich mich schon mehrfach überzeugen können. In der Abteilung war er angesehen. Ich glaube aber, viele der Kollegen wussten nichts von seinem beruflichen Hintergrund. Denn Herr Gäbler war bescheiden und redete nicht viel von sich. 

 

Ich wollte ihn gern unterstützen. Deshalb suchte ich mir Rat bei einem anderen Leiter, in dessen Team meiner Meinung nach Herr Gäbler sehr gut passen würde. Endlich könnte er wieder seiner Qualifikation gemäß arbeiten. Das wäre doch ein großer Schritt nach vorn. Nur mir würde er fehlen in meiner Abteilung. Die Kollegen würden murren, weil sie nun seine Arbeit vorübergehend mit machen müssten, bis ein Nachfolger gefunden wäre. Außerdem fehlte bald sein kompetenter Rat, da er nicht mehr dauernd für uns ansprechbar war. Na ja.

 

Was soll ich sagen. Gäbler freute sich und war sofort einverstanden. Wir machten es so. Er bekam einen neuen Arbeitsvertrag und wechselte auf einen schöneren und besser bezahlten Arbeitsplatz. Wenn wir uns bei der Arbeit im Werksgelände trafen, begrüßten wir uns freundlich und redeten auch drei Sätze. Alles war gut.

 

Dann ging das Leben weiter, für jeden von uns. Mit den Jahren an verschiedenen Orten.

 

Ich arbeitete längst woanders, als ich Herrn Gäbler eines Tages in der Stadt unverhofft traf. Das heißt, ich traf ihn eben nicht. Er lief auf der anderen Straßenseite entlang, sah mich, stutzte kurz - und guckte weg. Mir kam es so vor, als ob es ihm peinlich wäre, mich zu sehen. Warum? Und dann ging er weiter, ohne auf mich zu achten.

 

(Dazu muss ich anmerken, dass zwar Zeit vergangen war, aber nicht 200 Jahre oder so. Das heißt, wir sahen ungefähr noch so aus, wie wir uns kannten....)

 

Da war ich nicht beleidigt. Ich war traurig. 

 

Und enttäuscht.

 

Ich überlegte, ob ich zu einem Zeitpunkt früher etwas ihm gegenüber falsch gemacht hatte. Eigentlich war Herrn Gäblers und mein gemeinsames Tun bisher ein Pluspunkt in meiner Erinnerung. Etwas, woran man sich gern erinnert, weil man gemeinsam etwas Gutes erreicht hat.

 

Und dann diese komische Reaktion. 

 

Was wohl in Herrn Gäbler vorging ?

 

Ich weiß es nicht.

 

Manchmal denke ich an ihn und hoffe, es geht ihm gut. 

 

www.pixabay.com / rawpixel
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Der Maulwurf guckt ratlos. Er sagt mir, dass er mich unter allen Umständen immer und überall erkennen und niemals ignorieren würde. Da bin ich mir ganz sicher und sehr froh darüber....