· 

Sabine Z.

Gesichter einer Frau

Quelle: www.spiegel.de
Quelle: www.spiegel.de

 

Heute erzähle ich Dir die Geschichte über eine Frau namens Sabine. Sie ist nicht die Frau auf dem Bild, könnte es aber sein. Nur ohne Schmuck und Schminke.

 

Ich habe schon lange keinen Kontakt mehr zu ihr. Sie ist die Mutter einer Freundin aus meiner Kinder- und Jugendzeit.

 

***

 

Also, pass auf:

 

Sabine war damals Mitte vierzig. Eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern. Sie arbeitete in einem großen Kombinat als Disponentin, vierzig Stunden die Woche.

 

Die kleine Familie wohnte in einem Altbau. Große Küche, Flur, Wohnzimmer, Kinderzimmer und Schlafzimmer der Mutter. Die Toilette war ein Plumpsklo draußen im Treppenhaus. Ein Bad gab es nicht. Geheizt wurde mit Holz und Kohle in den Öfen.

 

Der Alltag von Frau Z., ihre beiden Kinder allein großzuziehen und mit einem Vollzeitjob für alles Nötige zu sorgen, war sicher hart. Einen großen Nerv für eine schöne Gestaltung der Wohnung hatte sie nicht. Alles wirkte provisorisch und teilweise ungemütlich. Das ist mir schon als Kind aufgefallen, da es bei uns zu Hause anders war. Da war auch nicht alles perfekt, aber meine (auch voll berufstätige) Mutter hatte und hat einen Sinn für das Schöne. Bei uns gab es viele Topfpflanzen, Bilder an den Wänden, Kerzen in Leuchtern - nicht nur zu Weihnachten. Bei Z.`s nicht. 

 

Sabine hoffte auf eine bessere Wohnung für sich und ihre Kinder. Deshalb waren einige Sachen, die man nicht so oft brauchte, in Kartons verpackt (vielleicht auch die schönen Dinge). Die standen jahrelang in der Wohnung rum, bis es endlich soweit war und man umziehen konnte.

 

Die Mutter und Disponentin fand Zeit, sich in der Schule ihrer Tochter, meiner Freundin, zu engagieren. Sie begleitete uns auf Schulausflügen. Wegen ihrer Strenge, der schneidenden Stimme und vermeintlichen Humorlosigkeit war sie nicht besonders beliebt. Auch ihr Äußeres nahm nicht für sie ein. Ihre Haare waren dunkelblond und kurz geschnitten. Auf Schminke verzichtete sie. Ihre Garderobe war unspektakulär. Nie trug sie, wie andere Mütter, mal eine bunte Bluse oder malte sich die Lippen. Oder hatte schicke rote Schuhe.

 

Die Jahre vergingen.

 

Meine Freundin und ich waren nun schon bald erwachsen, so fühlten wir uns mit unseren fünfzehn Jahren. Da nämlich fuhren wir gemeinsam in ein Kindersommercamp im Erzgebirge, um dort zu arbeiten. In der Küche und beim Putzen. Das Geld brauchte jede von uns, um sich ein paar Wünsche zu erfüllen.

 

Bald war klar, wer da noch mitkommt. Nämlich Frau Z.

 

Ich war wenig begeistert. Aber eigentlich war es auch egal, da sie bei der Ferienarbeit nicht für uns zuständig war. Sondern sie wollte selbst einige Wochen ihr Büro verlassen und als Betreuerin der Kinder arbeiten. Sollte sie doch.

 

Das Kindersommercamp befand sich in einer kleinen Schule auf dem Dorf. Ein schönes Haus. Während der Sommerferien fand dort kein Unterricht statt. Das Schulgebäude lag idyllisch zwischen Wiesen und Feldern am Ortsausgang in Waldesnähe, die Nutzung als Urlaubsquartier für viele Kinder bot sich an. Klar, dass hier auch das zuständige Personal, die Betreuer, Köche, Küchenhilfen, Fahrer und Reinigungskräfte untergebracht werden mussten.

 

In den kleinen Klassenräumen und Nebengelassen wurden Betten und Schränke aufgestellt. Ein paar Sport- und Spielsachen auch - fertig war die "Laube". Duschräume gab es. Es war einfach, aber schön. Allen gefiel es dort.

 

 

Sommer im Erzgebirge    www.pixabay.com   / Schmolle
Sommer im Erzgebirge www.pixabay.com / Schmolle

 

Der Ferienalltag nahm seinen Lauf. Wir kochten, putzen, schnippelten, rührten, deckten Tische, wuschen Geschirr ab und schrubbten die Küche. Gearbeitet wurde mindestens acht Stunden täglich. Die Betreuer und Betreuerinnen kümmerten sich um die Kinder. Ausflüge wurden gemacht, in Wald und Feld und zum Baden. Es gab Fußballspiele und allen möglichen anderen Sport. Und ab und zu Kinderdisko. Manchmal musste das Heimweh bekämpft werden, bei einem Kind oder auch einem Erwachsenen.

 

Natürlich gab es auch ab und zu ein kleines oder größeres Fest für das Personal. Dann saß man bei schönem Wetter zusammen draußen, nachdem die Kinder im Bett waren. Natürlich schliefen sie nicht, sondern machten in ihren Zimmern allerlei Unfug oder trieben sich heimlich in den Gängen der Schule herum. Ab und zu wurde einer erwischt und es gab eine Strafpredigt.

 

Aber die Erwachsenen waren gut gestimmt an so einem Abend. Es gab Essen, Bier, Wein oder Bowle und Musik. Heimliche Pärchen bildeten sich, dazu will ich aber gar nichts erzählen. Ist halt überall und immer so. Und ja auch schön. Eine Zeit lang.

 

Glücklich !      www.pixabay.com   /   StockSnap
Glücklich ! www.pixabay.com / StockSnap

 

Frau Z., oder hier nenne ich sie Sabine, saß mitten unter den ganzen zusammengewürfelten Leuten. Alle kannten sich nicht, erst bei ihrer gemeinsamen Arbeit hier im Sommercamp hatten sie sich getroffen. Sehr unterschiedliche Leute. Studentinnen und Studenten, die mal Lehrer werden wollten. Schülerinnen wie wir. Und Erwachsene, die irgendeinen Job hatten, aus dem sie mal kurz raus wollten. Arbeiten auf einem anderen Gebiet in schöner Umgebung. Woanders.

 

Man unterhielt sich, es wurde gelacht und geschäkert und getanzt. Tolle Sache auch für uns Teenie-Mädchen, wir durften dabei sein und hatten uns extra schick gemacht. Einer der Lehrer-Studenten hieß Peter, hatte seine Gitarre mit und sang. Schön. Der Peter. Und sein Gesang.

 

Und Sabine ! So hatte ich sie noch nie gesehen. 

 

Ihre mausfarbenen, unscheinbaren Haare waren etwas von der Sonne aufgehellt. Sie trug sie etwas länger als sonst und leicht lockig. Das stand ihr sehr gut und machte sie fraulich und jung. Sie trug ein schickes buntes Oberteil, Absatzschuhe ("de Hochhackschen") und hatte eindeutig einen roten Lippenstift probiert. Es sah gut aus. Vor mir saß eine ganz andere Person. Nicht die strenge, schmallippige, humorlose, alltagsgeplagte Frau Z.. Sondern die lebenslustige Sabine, eine Frau, die auch was vom Leben wollte außer Arbeit und Pflicht. Sabine plauderte, lachte, scherzte mit den anderen. Sie schien glücklich.

 

Erst hat mich die Verwandlung etwas irritiert. Ich war ja auch erst fünfzehn. In dem Alter scheint alles klar zu sein, solange, bis dann nichts mehr klar ist.

 

Ich verstand, dass es so sein kann, dass man sich in einer Person täuscht. Dass sie andere Seiten haben kann, die man nicht kennt. Diese Eigenschaften sind aber trotzdem da, auch wenn sie sich nicht offenbaren. Es machte mich nachdenklich. Und auch froh.

 

Mir gefiel die neue Sabine !

 

Es war ein toller Abend. Details verrate ich natürlich nicht.

 

 

Irgendwann war unsere Arbeit im Sommercamp beendet. Wir fuhren heim. Jeder machte jetzt eigene Ferien, man hatte ja schließlich genug gearbeitet. Das verdiente Geld wurde ausgegeben. 

 

Der Herbst kam, der Alltag kehrte ein.

 

Aus Sabine war wieder Frau Z. geworden.

 

Sehr schade. Und auch traurig.

 

 

***

 

Der Maulwurf guckt nachdenklich. Er beobachtet mich aus den Augenwinkeln. Vielleicht überlegt er gerade, ob er mich mal ins Sommercamp schicken sollte, damit ich mich zum Positiven verändere...