· 

Die schöne Tänzerin

Fehlende Eleganz und ausgleichende Gerechtigkeit

www.pixabay.com / studioessen
www.pixabay.com / studioessen

 

 

Als ich ungefähr fünf Jahre alt war, auf jeden Fall noch kein Schulkind, gingen meine Eltern und ich spazieren. 

 

Ich sprang und hüpfte vor ihnen her und fühlte mich gut.

 

Was Mutter und Vater hinter mir sprachen, konnte ich teilweise hören. Meistens interessierte es mich nicht besonders. Ich war mit der Umwelt beschäftigt. Mit der Wiese, den Grashüpfern und Käfern, Blumen und vorbeikommenden Hunden und Leuten. Oder einem Spielzeug, das ich mitgenommen hatte.

 

Manchmal lauschte ich aber doch, vor allem, wenn ich meinen Namen hörte. Was redeten die da über mich ?

 

Mein Vater sagte gerade zu meiner Mutter: "Dieses Kind (gemeint war ich) muss unbedingt in den Ballettunterricht gehen, damit es wenigstens vernünftig laufen kann." Die Antwort meiner Mutter hörte ich nicht mehr, denn ich war erschrocken.

 

Kurz danach meldete meine Mutter mich bei Ballettmeisterin Frau Richter im Stadttheater zum Unterricht an. Da ging ich nun jeden Donnerstag am Nachmittag hin. Dort waren Mädchen im Alter von fünf bis ca. fünfzehn Jahren. Es waren viel mehr Große da als Kleine. Und so klein wie ich war dort keine. Ungeschickt stolperte ich zwischen den eleganten, großen Unerreichbaren herum. 

 

Auch wenn wir diesen Unterricht für mich einige Jahre beibehielten, so ist aus mir keine elegante Person geworden, was mein Vater wahrscheinlich damals schon erkannt hat. Und das, wo ich doch als kleines Mädchen die graziösen Tänzerinnen in der Ballettgruppe und im Theater sehr bewunderte. Aber unzufrieden oder traurig machte es mich nicht, jedenfalls nie lange.

 

Wollte ich doch, wenn ich groß war, sowieso lieber Busfahrer oder Tierärztin werden. 

 

Trotzdem war es ein Makel, war ich doch nicht so, wie man es sich scheinbar erhofft hatte. Na ja.

 

***

 

Einige Jahre später entdeckte ich das Formen und Bemalen von Figuren als Hobby für mich. 

 

Für meine Oma hatte ich als Überraschung einen Vogel fabriziert und ihn ihr in der Küche hingelegt. Kurz nachdem Oma die Küche betreten hatte, erscholl ihr spitzer Schrei. Opa und ich stürzten hinein. Es war aber nichts passiert, sie hatte nur meinen Vogel für einen echten gehalten und sich erschreckt, weil er da so leblos lag.

 

Es tat mir leid, meine Oma, die ich sehr lieb hatte, so durcheinander gebracht zu haben. Gleichzeitig war ich aber auch froh, denn scheinbar war mein Vogel ja gelungen. Wenn sie ihn doch (kurz) für echt gehalten hatte.

 

Weitere alle möglichen Gebilde stellte ich nun her.

 

Eines Tages machte ich eine Ballerina, die als Relief auf einer ovalen Kachel tanzte. Dunkelblau leuchtend wie die Nacht der Hintergrund. Davor tanzte die Schöne in einem hellen Kleid.

 

Nachdem die Kachel fertig im Backofen gebrannt, bemalt und lackiert war, fand ich sie selber sehr gelungen. Auch meine Eltern und manch ein Besucher bei uns zu Hause lobten mein Werk.

 

So auch ein besonderer Mann, der zu uns kam. Er war aus Leipzig und ein Pfarrer und hieß Herr Dr. Schmutzler. Der stand vor der Kachel und fragte, wo die denn her sei. Stolz sagte ich, dass ich sie selbst gemacht hätte. Er glaubte es ja nicht und bewunderte das Stück. Überglücklich, wie ich war, schenkte ich sie ihm. Herr Dr. Schmutzler freute sich sehr und wollte es erst nicht annehmen. Schließlich hat er die kleine Ballerina dann doch vorsichtig eingepackt, als er uns verließ.

 

Später erzählten mir meine Großeltern, die den Leipziger Pfarrer gut kannten und mit einer seiner Mitarbeiterinnen eng befreundet waren: "Du, Deine Tänzerin hängt jetzt in seinem Arbeitszimmer."

 

Ich war begeistert, Du glaubst es ja nicht.

 

So hatte es mit der Eleganz doch noch ein gutes Ende genommen. Für meine Ballerina und mich.

 

 

***

 

Der Maulwurf versucht heimlich, sich auf die Zehenspitzen zu stellen wie eine Tänzerin. Ich tue so, als ob ich es nicht sehen würde, denn er ist wirklich nicht besonders elegant....