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Beim Friseur

In guten Händen

www.pixabay.com / RondellMelling
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Früher war es bei mir so, dass ich lieber zum Zahnarzt gegangen bin als zum Friseur.

 

Beim Zahnarzt war es zwar manchmal schmerzhaft, aber es war auch schnell wieder vorbei. Der Friseur dagegen hinterließ langwierigere Schmerzlichkeiten. Weil dieser Haarkünstler oft etwas machte, was ich nicht wollte. Ich nenne jetzt mal alle Friseure "der Friseur". Im Lauf der Jahre war ich schon bei so einigen.

 

Hatte ich zum Beispiel die Idee, meine sowieso schon umfangreiche Mähne noch mehr aufzustylen, fand er, "der Friseur", das nicht gut und überredete mich einmal zu kurzen Haaren. Da hatte ich dann eine Weile eine fransige punkige Frisur, was mir nicht so gefiel. Aber eine meiner Mitschülerinnen fand es so gut, dass ich als Beispiel mit zum Friseur gehen sollte, weil sie auch genau so eine Frisur wollte wie ich (wie NENA....).

 

Sagte ich: "Ich möchte keinen Mittelscheitel bitte.", dann schuf er umgehend eine Haartracht, die dieses Detail todsicher enthielt.

 

Wollte ich "bitte nicht soviel abgeschnitten" haben, war ihm das scheinbar völlig wurscht und er wuselte mit einer Art Heckenschere um mich herum. Die Haare auf dem Boden türmten sich.

 

Schnitt ich mir die Haare selber und ging erst einige Zeit später doch wieder mal zu ihm, "dem Friseur", dann meckerte er mich an, was ich mir dabei gedacht hätte. An meinem Lieblings-T-Shirt würde ich ja wohl nicht herumschneiden, oder? Meinen frechen Kommentar, das T-Shirt würde ja auch nicht nachwachsen, strafte er mit eiskalter professioneller Verachtung, "der Friseur".

 

Einige Jahre lang blieb ich dann dabei, mir die Haare selber zu schneiden. Da ich lockiges, halblanges Haar habe, dass sich sowieso immer irgendwie kringelt, ist das leicht. Außerdem gibt es da einen guten Trick für lockiges Haar. Man macht sich einen Zopf genau in der Mitte über der Stirn, wie ein Einhorn. Den Zopf schneidet man dann mit einer richtigen Haarschere in der gewünschten Länge ab. Dadurch ergibt sich eine gleichmäßige Durchstufung der Haare. Hier sieht man keine Stufen oder Ungleichmäßigkeiten, ist halt von Natur aus eine wilde Frisur. Wie Ronja Räubertochter, Bild s. unten. Mit oder ohne ihn, "den Friseur."

 

Dann hat es mich doch mal gerappelt und ich habe mir wieder einen Termin bei ihm, "dem Friseur" geholt.

 

Da hatte er nichts Besseres zu tun, als mir einen schräg geschnittenen Bob mit ganz glatt gezogenen Haaren zu verpassen. Das sah neu gemacht sehr edel und eigentlich super aus.

 

Nur: Selbst meine eigene Mutter weigerte sich, mich wiederzuerkennen. (Wie im Märchen 'Zwerg Nase': "Nein, Du bist nicht mein Söhnchen Jakob...."). Ich sah halt ganz anders aus, mit glatten Haaren. Und das Hauptproblem: Meine Haare wollten auf die Dauer eben nicht glatt sein. So sehr ich mir auch Mühe gab, irgendwie war es weder glatt noch lockig, sondern struppig. Später haben wir dann einen Kompromiss gefunden, "der Friseur" und ich. Ich sah wieder so aus wie früher. Aber es dauerte immer alles stundenlang. Bei ihm, "dem Friseur".

 

Es gab aber auch in dieser Zeit gute Erlebnisse mit ihm, "dem Friseur":

 

"Der Friseur", der mir im Urlaub mal sagte, als er mit meiner Frisur fertig war und sie mir im Spiegel zeigen wollte: "Kommen Sie doch vor die Tür, wir gehen mal raus - da sehen Sie den Glanz in der Sonne." Toll. Ich war begeistert. 

 

Oder auch die gelungenen Kreationen von Marlen und Jessica - danke dafür.

 

 

Haare so ähnlich wie ich  - Ronja Räubertochter: Astrid Lindgren, illustriert von Ilon Wikland, Buch, www.amazon.de
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Eines Tages lernte ich durch einen Zufall meine jetzige Friseurin kennen, Frau Simone in Annaberg.

 

Sie hat das gleich erkannt, was ich haarmäßig brauche. Weder macht sie das Gegenteil von dem, was ich sage. Noch überredet sie mich zu irgendwas. Sie versteht mich bestens. Außerdem gehe ich gerne in diesen Salon, weil es da sehr gemütlich ist. Man redet über dies und das. Frau Simone braucht auch nicht stundenlang, sondern ist in der Hälfte der Zeit fertig, die früher "der Friseur" gebraucht hat. 

 

Die bösartige Redewendung "Das kannst Du Deinem Friseur erzählen." bedeutet ja, dem kannst Du erzählen, was Du willst. Aber es interessiert ihn überhaupt nicht (und auch sonst keinen). Der Friseur kann Dir nur nicht entkommen und muss zuhören. Das gilt hier nicht. Frau Simone und ich können uns über fast alles unterhalten, kennen uns eben schon länger und passen als Menschen zueinander, denke ich. Manchmal schweigen wir auch. 

 

Ich bekomme von ihr immer einen großen Kaffee. Da ich schon lange in diesen Salon gehe, werde ich besonders freundlich begrüßt und bin da schon fast zu Hause. Das hatte ich noch nie bei einem Friseur vorher. Ich hätte es ja auch nicht geglaubt, dass das überhaupt möglich ist.

 

Nur meine Mutter muss natürlich wieder spötteln, wenn ich ihr sage: "Gestern war ich beim Friseur." Und sie dabei erwartungsvoll angucke. Aber sie lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und sagt das, was bei uns seit Jahrzehnten in der Familie auf so eine Ansage geantwortet wird:

 

"Und, warum bist Du nicht drangekommen ?"

 

Was andererseits wieder ein gutes Zeichen ist, denn das heißt, ich sehe eigentlich aus wie immer. Sie hat mich wiedererkannt.

 

Danke, Frau Simone.

 

***

 

 

Der Maulwurf kennt sich im Annaberger Friseursalon bestens aus. Es ist einer der seltenen Orte, wo zwar andere Menschen sind, er aber trotzdem raus darf. Denn auch Pawel ist dort schon bekannt und daheim.

 

 

Gefunden in Roßwein
Gefunden in Roßwein