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Der Poltergeist zu Roßwein - 1

und wie er gebannt werden konnte / Teil 1: "Wie alles begann"

Der Roßweiner Poltergeist / www.pixabay.com / Foto Benjamin Balasz
Der Roßweiner Poltergeist / www.pixabay.com / Foto Benjamin Balasz

 

Zufällig stieß ich heute auf eine Sage, die von einem Geist in Roßwein erzählt.

 

Das interessiert mich; ich recherchiere. Und stoße auf eine alte Sammlung von sächsischen Sagen, die erstmals 1874 so erschien. 

 

Über den Geist heißt es darin:

AUSZUG aus der Sagensammlung von Herrn Johann Georg Theodor Grässe, veröffentlicht erstmals 1874:

 

[318]

359) Der Poltergeist zu Roßwein.
S. Knauth a. a. O. Th. VIII. S. 579. sq.

Im Jahre 1649 ist Meister Georg Jahn, Schwertfeger zu Roßwein, Tag und Nacht in seinem Hause von einem Poltergeist gequält worden, hat sich deshalb an den Freiberger Superintendenten P. Sperling gewandt und dieser ihn in einem weitläufigen, noch jetzt vorhandenen Schreiben über die Art, wie solcher zu vertreiben, unterrichtet.

Nun bin ich neugierig geworden, suche mir ein paar alte und neue Bilder heraus und überlege, was passiert sein könnte.

 

Roßwein um 1925, alte Postkarte, www.ebay.de
Roßwein um 1925, alte Postkarte, www.ebay.de

Also, nun hör gut zu:

 

Im 17. Jahrhundert lebte ein Schwertfeger namens Georg Jahn, heute würden wir sagen, ein Endfertiger des Schmiedebetriebs, in Roßwein. Schwertfeger bearbeiteten das geschmiedete Messer oder Schwert nach der Fertigstellung durch Schmied und Härter. Nun musste es geschliffen und poliert werden. Eben durch diesen Mann, Herrn Jahn. Wie alle Endfertiger auf der Welt konnte er niemals aus Scheiße Gold machen, versuchte es aber nach besten Kräften. Er war als gewissenhafter und fleißiger Handwerker bekannt. Auch war er ein ehrlicher Mann. Seine Werkstatt mit kleinem Wohnhaus stand in der Oberen Scheunenberggasse.

 

Georg war ein Ur-Roßweiner. Er war hier geboren, seine Eltern und Großeltern auch schon. Die Urgroßeltern waren aus der Slowakei eingewandert, der Name Jahn war aus Janicek entstanden. Von diesem slowakischen Urgroßvater erzählte man sich die tollsten Sachen. Groß und stark wie ein Baum sei er gewesen, ebenfalls ein Schmied, aber ein Hufschmied. Er hatte schöne schwarze Locken und Bärenkräfte. Dieser Janicek war des Handwerks wegen nach Roßwein gekommen, nachdem in der Heimat seine Hufschmiede bei einem Überfall durch Räuber zerstört worden war. Er konnte sich nicht gegen diese Banditen wehren, weil er seine Frau, die hübsche Bascha, in Sicherheit bringen musste. Da konnte er Haus und Schmiede eben vergessen.

 

Bascha und Janicek machten sich auf den Weg nach Sachsen. Dieses Land war bekannt für gute Lebensart (im Gegensatz zu Preußen...), schöne Frauen und sachkundiges Handwerk. Das alles auch schon vor August dem Starken, der zu dieser Zeit noch nicht mal geboren war.

 

Es war die Zeit der Regentschaft von Kurfürst Christian II, der die erste Vermessung Sachsens vorantrieb. Die Urgroßeltern ließen sich in Roßwein nieder und eröffneten eine Hufschmiede mit kleinem Gasthaus. Das schien eine gute Kombination zu sein, denn während die Pferde beschlagen wurden und Heu und Wasser bekamen, konnten sich auch die Reisenden erlaben. An Bier und Hasenbraten und dem Anblick der schönen Bascha. Wenn einer letzteres übertrieb, gab es Prügel vom Ehemann der Guten. Diesen konnte so schnell nichts ins Bockshorn jagen.

 

Das hatte sein Urenkel Georg von ihm geerbt. Er schien ihm auch äußerlich ähnlich zu sein. Sein Opa, der ja der Sohn des Urgroßvaters war und ihn gut gekannt hatte, da beiden ein langes gemeinsames Leben vergönnt war, bestätigte das immer wieder. Auch war er etwas hitzigen Gemüts und hatte eine Schwäche für schöne Frauen.

 

Vor allem für eine. Die Grete.

Grete / www.pixabay / rottonara
Grete / www.pixabay / rottonara

Grete hatte es ihm angetan. Ihre blauen Augen und ihr skeptisches Lächeln verfolgten ihn bis in seine Träume. "Na", schien sie zu sagen, "traust Dich wohl nicht an eine richtige Frau ran?"

 

Von seinen zahlreichen Affärchen und Spielchen und sonstigen Faxen wusste sie das meiste. Und hielt wenig davon. So ein Mann war nichts für sie. Grete war schon jung verwitwet und hatte für zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, allein zu sorgen. Für sie kam so ein Lumich nicht infrage. Eigentlich. Denn gefallen tat er ihr schon. Sogar sehr.

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cocoparisienne + Diana Neprikhanu

Lieblingsplatz
Lieblingsplatz

 

Außerdem wütete zu dieser Zeit, wir sind in ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, ein grausamer Krieg, den man später den dreißigjährigen nannte. Auch in Sachsen war das schlimme Realität. Die Männer, die ins Feld mussten, waren zu bedauern. Kaum einer kam wieder. Gut für eine Frau, in solchen Zeiten einen starken Beschützer zu haben. Die Bedrohung durch Hunger, Krankheit und gewissenlose andere Menschen war enorm.

 

So geschah es, dass Grete schließlich auf sein Werben einging und mit ihm im Mai zum Frühlingstanz ging. Sie flocht sich zwei rote Bänder in die Zöpfe und steckte ein paar blaue Vergißmeinnicht hinein. Grete war eine der Schönsten an diesem Abend. Sie tanzten, tranken, unterhielten sich und lachten viel.

 

Danach verschwanden beide zu später Stunde an den Ufern der Mulde, dort, wo sie stadtauswärts fließt und flussabwärts eine leichte Biegung macht. Dort hatte sich ein kleiner sandiger Strand gebildet. Was dort geschah, bleibt ein Geheimnis des Paares, das sie geworden waren. 

 

Nun trafen sie sich öfter und erlebten einen wunderbaren Sommer.

 

Nach einiger Zeit spürte Grete, dass sie wieder ein Kind erwartete. Voller Freude lief sie zu Georg, um es ihm zu sagen. Sie hatte aber auch Angst, denn ein Instinkt sagte ihr, dass er das Kind vielleicht nicht wollen würde und sie dann nicht wüsste, was sie tun sollte. Also verdrängte sie diese schlechten Gedanken und lief durch die heiße Mittagsstunde zur Schwertfegerwerkstatt. Hier arbeitete Georg gerade mehrere Schwerter für die Kriegssoldaten des sächsischen Kurfürsten auf. Die Armen mussten bald wieder in die Schlacht ziehen, da sollten sie wenigstens gut bewaffnet sein.

 

Als er Grete sah, ließ er seine Arbeit sinken und ging auf sie zu. Da sie um diese Zeit sonst nie herkam, wusste er, dass etwas geschehen sein musste. Sie strahlte ihn an und fiel wortlos in seine Arme. Es war ihm schon aufgefallen, dass sie etwas üppiger, noch schöner und strahlender geworden war. Und dass sie mehr aß als früher und oft in absonderlicher Reihenfolge. Aber er wollte es nicht wahrhaben und dachte nicht weiter darüber nach.

 

Sie hob ihren Kopf und schaute ihn an. Er lächelte nicht.

 

Sie sagte ihm, wie es um sie stand. Ihr Herz schlug wild und voller Angst.

 

Er hätte sie jetzt fest in die Arme nehmen und eine schnelle Hochzeit versprechen müssen. Bald würden die Leute reden, wenn man den wachsenden Bauch Gretes sah. Aber Georg war wie versteinert und fühlte nichts. Nur Kälte und den Wunsch, damit nichts zu tun haben zu müssen. Er wollte sein freies Leben als Schwertfeger nicht aufgeben, er war glücklich so.

 

Frei sein, wie ein Vogel. Fliegen, wohin man wollte, vielleicht sogar ans Meer. Das hatte er noch nie gesehn. Danach sehnte er sich.

Freiheit !     www.pixabay.com / Pascal Wiemer
Freiheit ! www.pixabay.com / Pascal Wiemer

 

Schon eine Weile hatte er gemerkt, dass so ein Familienleben ihm nicht gefiel. Er mochte Grete, vielleicht liebte er sie sogar. Aber er wollte sie nicht dauernd um sich haben. Ihr geschäftiges Hin und Her, das Geplapper und Lachen, ihre Fragen, Ermahnungen, Anweisungen und sogar ihre Koseworte störten ihn teilweise und gingen ihm auf die Nerven. Er konnte nicht ausdrücken, warum.

 

Andere Menschen hatten damit offensichtlich keine Probleme. Sie erschienen ihm alle so sesshaft, gesellig und familiär. Dauernd suchten sie die Gemeinschaft und hockten beieinander. Da fühlte er sich ganz anders und fremd. Aber nicht schlecht. Dieses freie, teilweise einsame Leben war ihm gerade recht.

 

Dann und wann brauchte Georg seine Ruhe, ging an eine seiner Lieblingsstellen an der Mulde und rauchte ganz allein eine Pfeife mit starkem Kraut. Wenn er zurückkam, war er wieder ausgeglichen und freundlich. Aber er sagte nie etwas dazu.

 

Jetzt fühlte er sich plötzlich gefangen. Panisch sah er sein Leben vor sich. In einem Haus voller Geschrei, Windeln, Kinderkrankheiten, Sorgen. Mit dauernden Schwangerschaften Gretes, gefährlichen Geburten und vielleicht Komplikationen. Das alles in diesen Zeiten, die so unsicher und rücksichtslos waren. Dem fühlte er sich nicht gewachsen. Er wollte das alles einfach nicht. 

 

Aber er wollte auch kein verantwortungsloser Mistkerl sein und Grete sitzenlassen. Eigentlich. Georg verstand nicht, dass scheinbar andere Männer damit keine größeren Schwierigkeiten hatten. Er schon. Es fühlte sich an, als ob hinter ihm eine schwere Tür ins Schloss fallen wollte. Eine Tür, die nie mehr zu öffnen wäre. Gefangen!

 

Georg schob Grete von sich und sagte kein Wort. Ernst guckte er an ihr vorbei. Seine Gesichtszüge waren hart und fremd geworden für die Frau. Sie redete immer verzweifelter auf ihn ein, zuletzt trommelte sie ihm mit ihren kräftigen Fäusten auf die Brust und schrie ihn an: "Warum ? Warum denn nur ?" Jetzt weinte sie.

 

Er konnte es nicht beantworten, machte sich von ihr los und ließ sie, verzweifelt und unglücklich, einfach stehn. Er wollte nur weg von ihr, weg, an die Mulde und blieb eine ganze Weile dort.

 

***

 

Als er am Abend wiederkam, sah er schon von weitem, dass etwas nicht stimmte. Eine Menschenmenge hatte sich vor seinem Haus versammelt und schien auf ihn zu warten. Als die Leute ihn sahen, fingen sie an zu murmeln. Einige schüttelten die Köpfe. Aber sie blieben stehen und schauten ihn erwartungsvoll an. "Was habt Ihr denn ?" fragte er zwei alte Nachbarinnen, die am nächsten vor ihm standen. "Die Grete", sagte eine, "ihr ist......etwas Schlimmes passiert." 

 

Georg erschrak. "Um Gottes willen, so sprecht doch! Was ist geschehen ?" Sein Freund Walther bahnte sich den Weg durch die Menge. Er fasste Georg am Arm und zog ihn ins Haus. Er schloss die Haustür hinter ihnen.

 

"Es war nichts mehr zu machen." sagte Walther "Sie ist tot und das Kind auch, es war ein Mädchen." Georg erbleichte. Dann berichtete Walter, was geschehen war. In ihrer Verzweiflung war Grete nach Hause gerannt. Sie hatte die Kinder genommen und zu einer Nachbarin gebracht. Dieser hatte sie gesagt, dass sie am Abend wiederkäme, um die Kinder zu holen. Dann verschwand sie.

 

Grete war in diesem Moment der einsamste und unglücklichste Mensch auf der Welt. Kein Ausweg, keine Hoffnung, dass sich doch alles zum Guten wenden würde. In ihrer Verzweiflung war sie aus der Stadt hinaus gerannt, zu einem kleinen und unscheinbaren, einzelnen Haus. Gerne ging man da nicht hin. Es wohnte dort eine kräuterkundige Frau, die bei Krankheit, Liebeskummer und ungewolltem Kindersegen hilfreich war. Manche Leute nannten sie eine Hexe. Meistens half sie ihren Mitmenschen. An diesem Tag aber hatte es nicht geklappt. Die unglückliche Grete war verblutet, und die Frau hatte nichts mehr für sie tun können. Auch das Kind, was keiner haben wollte, war nun tot.

 

Georg fiel fassungslos auf einen Stuhl, nachdem Walther alles erzählt hatte. Er konnte nicht glauben, was für ein großes Unglück sich in dieser kurzen Zeit, in der er an der Mulde gesessen und seinen Gedanken nachgehangen hatte, ereignet hatte. Und das Schlimme war, dass er daran schuld war!

 

Er ganz allein.

 

Der Schwertfeger verließ sein Haus und lief ziellos durch die kleine Stadt, streifte über den Markt, an der Kirche vorbei, durch die Gassen, ging wieder zur Mulde zurück. Er fand keine Ruhe. Überall war Grete. Es sah alles so aus wie immer und war doch alles für immer so ganz anders geworden. Dann betrank er sich in einer Spelunke in der Nähe des "Am Werder" genannten Ufers und wusste am nächsten Tag nicht mehr, wie er heim gekommen war. Sein Zustand war schrecklich.

 

***

 

Hier verlassen wir Georg Jahn für heute. Wie es weitergeht, erfährst Du im zweiten Teil der Geschichte.

 

***

 

Der Maulwurf hat gespannt zugehört. Grete tut ihm leid, und das arme Kind, was keiner wollte.

 

 

 

www.pixabay.com / Andreas Lischka
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