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Die Sage von der Kempenjule / Teil 1

Die verzauberte Braut

Die Kempenjule

 

 

Die Fotos in der Geschichte, welche nicht markiert sind, hat die Fotografin Adina Voicu gemacht. Sie lebt in der rumänischen Stadt Oltenita südlich von Bukarest und veröffentlicht ihre Fotos zum Beispiel auf der Plattform pixabay.com. Ich bin sehr beeindruckt von ihren Bildern und erlaube mir deren Verwendung, da sie dafür frei sind.

 

 

Ich möchte Dir eine Geschichte erzählen, die sich so ähnlich der Sage nach auf einer kleinen Burg namens Kempe in Mahlitzsch nahe der Stadt Roßwein zugetragen hat. Ein wenig Freiheit beim Erzählen gibst Du mir doch?

 

Von der Burg, sie wurde wahrscheinlich im 13. Jahrhundert erbaut, ist heute nur noch eine Ruine zu sehen. Man weiß sehr wenig über sie. Burg Kempe steht auf einem Felsen an der Mulde und wurde als Wohn- und Fluchtburg gebaut. Die gehörte der Familie von Malens.

 

Ihren Namen bekam sie wahrscheinlich von dem Wort "Kemenate". Das hat seinen Ursprung im Lateinischen und bedeutet soviel wie Kammer mit Kamin. Wer ein wenig Russisch kann, kennt das Wort " Komnata", Zimmer.

 

Burgruine Kempe / www.heykodehn.de

 

Also, pass auf:

 

Es lebte einst vor vielen hundert Jahren auf der kleinen Burg Kempe an der Mulde ein Edelfräulein namens Julischka. Sie war eigentlich eine Ungarin und sollte den Junker Berthold auf Kempe heiraten. Ihre Familie war verarmt und wollte für Julischka eine bessere Zukunft.

 

Auf Kempe herrschte ein gutes Auskommen. Also wurde der Pakt geschlossen. Beide zukünftigen Eheleute kannten einander noch nicht, als das Versprechen schon gegeben war.

 

Julischka  hatte  bereits vor der Hochzeit ihren Wohnsitz auf Kempe bezogen und war noch ein Fräulein. Sie wurde von den Einheimischen nur "die Kempenjule" genannt. So charmant war das nicht. Aber Jule war da nicht so empfindlich.

 

Im Wohnturm hatte sie sich häuslich eingerichtet und bereits viel zu tun. Sie beschäftigte sich mit dem Erlernen der Sprache, die hier gesprochen wurde ("Orr gugge") und half ihrer zukünftigen Schwiegermutter im Burghaushalt. Vor allem die Verbesserung und Verschönerung der Burgwohnung waren ihr wichtig. Die Mutter des Junkers freute sich über Ideen und Unterstützung durch die junge Frau. Sie half ihr beim Erlernen der Sprache und versuchte sich selbst an einigen Brocken ungarisch. Beide verstanden sich gut.

 

www.outlandishobservations.com

 

Der junge Berthold von Kempe, Du siehst ihn oben auf dem Bild, kam Jule nur gelegentlich in die Quere. Da er ein stiller, linkischer und gutmütiger Mann war, tat er ihr nichts zuleide, sondern bemühte sich um ihre Gunst. Er hinderte sie auch nicht bei der Neugestaltung der Wohnburg. Eigentlich war es ihm wurscht, wie es in der Burg aussah. Hauptsache, es war warm genug, gab was zu essen und zu trinken und ein bequemes Bett. Er war ein Vorfahre des berühmten Schotten Jamie Fraser, falls Dir die Ähnlichkeit aufgefallen ist...

 

Julischka wollte selber etwas tun. Sie hackte Durchbrüche in Wände, erneuerte die Fensterläden und Türklinken, ließ den Hauptkamin vergrößern, legte Teppiche, reparierte und schmückte Wände, änderte Treppenaufgänge. Auch schaffte sie schönes Kupferzeug für die Küche an und einen neuen riesigen Badezuber. Diesen allerdings beäugte der Junker Kempe etwas mißtrauisch, denn er war insgeheim ein wenig wasserscheu. 

 

Besucher der Burg äußerten sich lobend zu den Veränderungen und beglückwünschten Ritter Kempe zu seiner Wahl.

 

Er verliebte sich immer mehr in seine schöne, energische und einfallsreiche Braut. Was man ja auch verstehen kann. Jule selber fand auch Gefallen an dem stattlichen Berthold mit den kupferroten Haaren. Dass er so still war, störte sie nicht. Schließlich hatte sie Energie für zwei. Gelegentlich ließ er sich von ihrem Eifer anstecken, lachte und war fröhlich. Tanzte mit Julischka und wirbelte sie im Burghof herum. Auch lobte er ihre Arbeit, denn er war ein kluger Mann.

 

Er freute sich, wenn sie ungarisch kochte und ihn mit so manchem Leckerbissen verwöhnte. Besonders die bunten Paprikas hatten es ihm angetan.

 

 

Eine Zeitlang hatten alle zusammen ein gutes Leben, Mensch und Tier und Pflanze. Guck Dir das an:

 

Hans Braxmeier / www.pixabay.com

 

Als der Sommer vorüber war, wurde die Hochzeit vorbereitet. Alle Verwandten und Bekannten wurden eingeladen. Es sollte ein großes schönes Fest werden. Da Jule im Herbst Geburtstag hatte, wollte sie gern im Oktober heiraten, denn das war ihr Lieblingsmonat. Berthold hatte zugestimmt. Sonst hatte auch keiner was dagegen. Gegen den Oktober.

 

Gegen die Heirat schon.

 

Es gab nämlich eine entfernte Kusine des Ritters, die schon als Kind nichts lieber als Burgfrau auf Kempe werden wollte. Weil ihr die Burg so gut gefiel und der Ritter ebenso. Und sie von ihren drei unausstehlichen Schwestern weg wollte. Diese Person, sie hieß Urmela, war keine Gute. Man erzählte sich, dass sie in schwarzer Magie unterrichtet sei und alle möglichen teuflischen Künste anwendete, wenn ihr jemand oder etwas nicht gefiel.

 

Also keine Frau, die man zur Gegnerin haben sollte. Ich sags Dir ja, wieder eine Hexe. Vielleicht hieß sie mit vollem Namen Urmela (von) Kümmel, aber das ist wohl nicht genau überliefert.

 

Als Urmela von der bevorstehenden Hochzeit erfuhr, zerschmetterte sie wütend ein schönes Glas, das sie gerade in der Hand hielt und fühlte sich voller Hass. Auf den Ritter, der ihr nun untreu wurde. Auf den sie doch einen Anspruch hatte, wie sie glaubte. Sie tobte. Dabei mussten einige schöne, zahme Finken dran glauben, die ihre Schwestern in Käfigen hielten. Nun wurden diese armen Vögel im Frühfrost einfach aus dem Fenster gejagt. Aber sie konnten ja zum Glück gut fliegen und würden sich schon zu helfen wissen.

 

Soviel Glück hatte Jule nicht. Denn der Fluch der Hexe Urmela traf sie unvorbereitet.

 

 

Urmela hatte sich etwas Böses ausgedacht. Sie musste die nichtsahnende Jule loswerden und zwar noch vor der Hochzeit. Also war Eile geboten. 

 

Die Hexe füllte Gift in ein schönes Parfumfläschchen und schickte es mit lieben Hochzeitswünschen durch einen Boten nach der Burg Kempe. Ein beigelegter Brief der arglistigen Kusine verriet, dass das Parfum einen besonderen Wirkstoff enthalte. Dieser sollte die Braut unwiderstehlich machen, so das Versprechen. Es roch wunderbar nach Maiglöckchen.

 

Jule vertraute der neuen Verwandten und freute sich über das kostbare Geschenk. Als sie sich für den Hochzeitstag vorbereitete, tupfte sie sich etwas von dem Duft hinters Ohr. Danach wollte die Braut sich den Schleier feststecken. Aber dazu kam sie nicht mehr, denn plötzlich sank sie ohnmächtig auf den Boden ihres Turmzimmers.

 

 

Nach einer Weile vermisste man die Braut. Alle waren bereit, um an diesem schönen Herbstmorgen gemeinsam zur Kirche zu gehen. Sie warteten umsonst.

 

Man suchte die Burg, den Garten und das Muldenufer nach Jule ab. Gefunden wurde sie nicht. Nur ihr Hund Szilagy bellte aufgeregt vor der Kemenatentür herum und war dort nicht wegzubewegen. Als man die Tür endlich öffnete, lag das leere Brautkleid am Boden.

 

Eine der Mägde griff danach, um es aufzuheben. Mit einem Schrei warf sie es von sich. Eine Schlange mit dunklem Kopf glitt aus dem zarten Stoff. Sie zischte leise und schlängelte sich blitzschnell davon. Szilagy knurrte leise und hilflos. Vor Schlangen hatte auch der mutige Hund Respekt. Niemand verstand, was geschehen war.

 

Die Hochzeitsgäste gingen wieder nach Hause. Ritter Kempe suchte noch den ganzen Tag in der Umgebung nach Jule. Seine Mutter wartete mit den anderen Hausgenossen in der Burg. Erschöpft stand ihr Sohn am Abend dieses unglücklichen Tages im Garten seiner Burg unter den herbstlichen Apfelbäumen, die bereits reife Früchte trugen.

 

Bis auf einen. Jules Lieblingsbaum, in dessen Ästen sie im Sommer eine Schaukel befestigt hatte. 

 

Es war Vollmond. Und da sah er das Unglaubliche im Silberlicht. Dieser eine Baum trug keine Früchte, sondern schwarze Blüten!

 

Entsetzt starrte er auf die teuflischen Blüten.

 

Dann stürzte er davon.

 

 

 

Eine zarte Hand hielt ihn irgendwann fest. Es war Urmela.

 

"Euer Unglück schmerzt mich sehr. Aber Ihr solltet einsehen, dass Ihr der Falschen vertraut habt. Scheinbar war sie mit dem Teufel im Bunde." Sie neigte den Kopf in Richtung der schwarzen Blüten. "Wie sollte so etwas sonst möglich sein?"

 

Der Ritter rang nach Luft. Er stieß Urmela beiseite und ging rasch davon.

 

Die Hexe lachte böse. "Warte nur, das wirst Du noch bereuen." dachte sie.  Ihr Herz war schwarz vor Zorn.

 

free-photos / www.pixabay.com

 

Die Zeit verging. Jedes Jahr gab es wieder einen Oktober. Immer noch hoffte der Ritter darauf, seine Braut wiederzufinden. Immer noch suchte er nach ihr.

 

Pexels und Hans Braxmeier / www.pixabay.com

 

 

Das Leben auf der Burg ging irgendwie weiter. So, wie es immer weitergeht. Auch, wenn man es nicht will.

 

Die Burgfrau sprach nie mehr ein ungarisches Wort.

 

Verlassen stand der Badezuber in der Waschküche der Burg.

 

Der Ritter war noch stiller geworden. Trauer umgab ihn lange Zeit.. Das konnte auch Urmela nicht ändern, mit keinem Zauberspruch der Welt. Niemals hat er je wieder mit seiner Kusine gesprochen. 

 

Manchmal ging er heimlich in die Kemenate seiner Braut, streichelte das verlassene Brautkleid und dachte an früher. An sonnigen Tagen war ihm manchmal, als ob er Jule singen hörte. "Ich spinne wohl langsam total." sagte er sich dann.

 

Jahre später heiratete er eine schöne Roßweiner Witwe, mit der ihn eine tiefe Freundschaft verband. Aber nie wieder war er so glücklich wie in den kurzen Monaten mit Julischka. 

 

Urmela musste einsehen, dass man Liebe nicht erzwingen oder herbeizaubern kann. Aber sie konnte sich nicht damit abfinden und blieb weiter verstockt und böse. Deswegen verliebte sie sich auch nicht neu, sondern pflegte ihren Kummer sorgfältig, damit er ja nicht verging. Sehr dumm.

 

Und Jule? Niemand fand sie oder hörte etwas von ihr. Man erzählte sich allerlei Geschichten über die Kempenjule, aber keiner wusste wirklich etwas.

 

 

Szilagy  / Quelle: YG alias Eura
Szilagy / Quelle: YG alias Eura

 

 

Nur der Hund Szilagy hatte sich kurioserweise offensichtlich mit einer Ringelnatter angefreundet, die manchmal an warmen Tagen auf den Steinen der Burgmauer in der Sonne lag.

 

Nur er wusste, das war seine Jule. Ein kluges Tier, der kleine Ungar.

 

Er begleitete sie auf Streifzügen durch Wald und Feld. Manchmal schwammen sie zusammen in der Mulde und waren dann beide guter Dinge.

 

 

Robert Rodewald / www.pixabay.com

 

Urmelas Fluch wirkte weiter. Jule war und blieb eine Schlange. Aber eines Tages würde sich auch das ändern.

 

***

 

Du erfährst es demnächst in Teil 2. Dazu werden wir die nächsten Tage mal nach Mahlitzsch fahren und selber auf Spurensuche gehen.

 

Der Maulwurf wartet gespannt auf Reise und Fortsetzung dieser Geschichte. Schlangen wecken immer sein Jagdfieber.  Er ist furchtlos.