· 

Billy

Geschichte einer Freundschaft

Billbergia nutans (meine Billy)

 

Reudnitz / www.stadtbild-deutschland.org

Zeichnung L. A. L. Constans  

 


Darf ich vorstellen ? Die erste von links ist Billy. Die zweite von links meine erste Heimat, Leipzig Reudnitz. Das dritte Bild ist eine botanische Zeichnung aus dem 19. Jahrhundert. Damals wurden so schöne, aber auch sehr exakte Zeichnungen gemacht, weil es ja noch keine Fotos gab.

 

Billy ist eine Bromelie der Art Billbergia nutans.  Der lateinische Name wurde ihr zu Ehren des schwedischen Botanikers und Zoologen Herrn Billberg gegeben, der zum  Ende des 18. Jahrhunderts geboren wurde und an ihrer Erforschung beteiligt war.

 

Meine eigene Bromelie dieser Art heißt also kurz Billy. Und sie hat eine ungewöhnliche Geschichte.

 

Billy ist einige Jahre älter als ich. Noch bevor ich auf der Welt war, kam sie in das Wohnzimmer meiner Großeltern in Reudnitz, einem wilden Stadtteil im Leipziger Osten. 

 

Ihr vermutlich erster Platz war die Schule, wo mein Opa als Lehrer arbeitete. Hier stand sie auf der Fensterbank eines Klassenzimmers und hat sich sehr wohl gefühlt. Sie wuchs. Schließlich war sie zu groß für ihren alten Platz. Woanders konnte oder wollte man sie in der Schule nicht unterbringen. Und weil man lebendige Pflanzen nicht wegschmeißt, hat mein Opa sie mit nach Hause genommen. Dort fand sie einen Stehplatz auf der Blumenbank und war sicher zufrieden.

 

Jahre vergingen. Billy stand dort und wuchs ein wenig, aber nicht mehr so sehr wie früher. Irgendwann kam ich dann auf die Welt und in die Wohnung zu Billy. Während meiner ersten Lebensjahre war sie immer da, aber unbeachtet von mir. Sie war unscheinbar.

 

Als fast vierzig Jahre später meine Großeltern umzogen, nahmen sie ihre Pflanze mit. Diese hatte inzwischen stattliche Größe erreicht. Um Herrin der Lage zu werden, teilte meine Mutter sie in drei gleich große Teile und pflanzte jeden in einen Topf. Einer kam wieder zu den Großeltern, einer zu Mutter und einer - zu mir (obwohl ich nicht wollte).

 

Ich war wenig begeistert, weil diese Pflanze (sie hatte auch noch keinen Namen zu der Zeit) ziemlich sperrig und kratzig in der Gegend rumstand, Platz wegnahm und auch nicht schön aussah.

 

Ich gab ihr einen Platz, aber nicht in der ersten Reihe. Ich goss und entstaubte sie regelmäßig, aber ich hatte sie nicht lieb. Manchmal schimpfte ich leise auf sie ein, weil ich sie als lästig empfand.

 

Die anderen beiden Pflanzen bei Mutter und Großmutter blühten. Wir staunten. Das hatte diese Pflanze während ihrer Leipziger Jahrzehnte nie getan; wahrscheinlich hatte sie zu wenig Licht da.

 

Auf einmal kamen dann wunderschöne große, leuchtend rote Blüten mit kleinen blauen Rispen darin hervor. Du siehst es ja auf dem Bild. Wirklich sehr schön. Aber eben nicht bei meiner Pflanze. Die stand auch nicht so gut wie ihre Geschwister, weil ich sie ja nicht leiden konnte.

 

Irgendwann saß ich an einem Maiwochenende in meinem Wohnzimmererker, trank Kaffee und freute mich bei offenen Fenstern über das schöne Wetter. Mir gegenüber stand die Pflanze, die ich schon vor einer Weile auf einen besseren Platz gerückt hatte.

 

Plötzlich schaute ich genauer hin, weil ich meinte, etwas leuchtend Rotes zwischen den Blättern zu sehen. Und tatsächlich ! Sie hatte ganz insgeheim eine wunderschöne Blüte produziert. 

 

Ich war gerührt, dass sie es nun auch geschafft hatte und streichelte über ihre vielen Blätter. Heimlich entschuldigte ich mich für mein garstiges Wesen ihr gegenüber. Später schaute ich nach, was das überhaupt für eine Pflanze war: eine Billbergia-Bromelie. Da nannte ich sie Billy.

 

Seitdem spreche ich ab und zu mit ihr, und zwar freundlich. Jedes Jahr bringt sie ein paar schöne Blüten. Und darüber freuen wir uns.

 

Auch der Maulwurf. Denn er hat ja ein gutes Herz.