Vorurteil, Mitlaufen und Irrtum
Vorurteile, falsch Verstandenes, irgendwo Aufgeschnapptes - so gefährlich ist es, wenn Leute immer mit der Masse mitrennen. Scheinbar ohne Not, ohne Zwang. Doch es ist der Herdentrieb, den der Mensch hat und den er auch braucht, um zu überleben. Ein einzelner Mensch ist in der Natur nichts, alles kann ihn ganz schnell vernichten, wenn er so allein und schutzlos ist. Der Mensch ist eben kein Bär. Deswegen braucht er seinesgleichen und passt sich an.
Denken, was die anderen denken; glauben, was die anderen glauben, fühlen, was die anderen fühlen. Nachmachen, was alle tun. Dasselbe schreien und machen.
Oft klappt das ganz gut, doch manchmal geht es richtig schief. Und man hat kollektiv einen Krieg verloren oder eine andere Katastrophe verursacht. Doch man war das nicht allein. Alle haben mitgemacht.
Nicht alle. Es gibt glücklicherweise immer auch "die anderen". Die nicht alles mitmachen.
Die einmal einen Schritt zurück- oder beiseite treten, um eine andere Perspektive einzunehmen. Die es wenigstens versuchen: klar zu denken, Fakten zu sammeln, abzuwägen, einzuschätzen - sich selbst eine Meinung zu bilden, so gut es geht. Und die dann auch zu vertreten, mit durchgedrücktem Kreuz und geraden Schultern. Leute, die nicht jedermanns Liebling sein müssen. Die, wenn es sein muss, auch zur Selbstkritik fähig sind und es zugeben können, dass sie sich geirrt haben.
All die Themen unserer Zeit - vom Klimawandel über die Massenmigration und die Corona-Politik bis hin zur Transgender-Ideologie - verlangen nach persönlicher Einordnung. Man kann versuchen, einmal zu hinterfragen, was immer und immer wiederholt wird - und dadurch ja nicht wahrer wird - sondern nur so erscheint. Wir gewöhnen uns scheinbar an jeden Mist, wenn er uns nur oft genug dargeboten wird. Ganz vermeiden kann man diesen Einfluss nicht, doch man kann sich seiner - also des Einflusses - bewusst werden und dagegen antreten.
Wer sich diese Möglichkeit selbst immer erhalten bzw. nach Verlust wiedergefunden hat, der besitzt die Chance auf das Erkennen wenigstens eines Stückchens Wahrheit. Der vermeidet womöglich für sich Fehlentscheidungen, die manchmal später nicht mehr zu korrigieren sind. Aber das muss man auch aushalten. Kein Vormarsch ist so schwer wie der zurück zur Vernunft, sagte Bertolt Brecht.
Wer das nicht kann, der gehört eventuell zu der oft unangenehmen Meute, die auch "den Hofer" für schuldig hielt. Mit diesem erstmals 1971 als Single erschienenen Lied wurde der junge Wolfgang Ambros, noch keine zwanzig damals, in Österreich bekannt. Heute ist es ein Klassiker. Für diejenigen, die dem Wiener Dialekt nicht so schnell folgen können, Text weiter unten noch mal zum Nachlesen.
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Quintessenz: die aufgehetzten Leute jagen einen Mann, den Herrn Hofer, als vermeintlichen Mörder, der doch selbst die Leiche ist ... Alle rennen mit, nur die Hausmeisterin sieht klar. Weil sie richtig hingeschaut und gesehen hat, was IST. Nicht das, was sie vielleicht sehen WOLLTE - so wie die anderen.
Wolfgang Ambros, Jahrgang 1952, ist immer noch auf den Bühnen in Österreich und Deutschland unterwegs. Mehr dazu hier:
Und nun noch der Liedtext vom "Hofa":
Der Hofer war's (1971:Josef Prokopetz/Wolfgang Ambros)
\"Schau, da liegt a Leich im Rinnsal,
's Bluat rinnt in' Kanal!\"
\"Heast, des is makaber:
Da liegt ja a Kadaver!\"
\"Wer is denn des, kennst du den?\"
\"Bei dem zerschnittnen Gsicht kann i des net sehn.\"
\"Der Hofer war's, vom Zwanzgerhaus!
Des schaut mir so verdächtig aus!
Der Hofer hat an Anfall kriagt
und hat die Leich da massakriert!\"
Da geht a Raunen durch die Leut,
und a jeder hat sei Freud.
Der Hofer war's, der Sündenbock!
Der Hofer, den was kaner mog.
Und der Haufen bewegt si viere
hin zum Hofer seiner Türe.
Da schrein die Leut: \"Kumm außer, Mörder!
Aus is' heut!\"
\"Geh, mach auf die Tür!
Heut is' aus mit dir!
Weil für dei Verbrechen muß jetzt zahln!\"
\"Geh, kumm außer da!
Mir drahn dir d'Gurgel a!
Du hast kane Freund, die da d'Stangen halten!\"
\"Meuchelmörder, Leichenschinder!
D'Justiz war heute g'schwinder
als was d'glaubst!\"
\"Also, Hofer, kommen's raus!\"
Und sie pumpern an die Tür
und sie machen an Krawall alswia,
und sie tretatn's aa glatt ei,
tät die Hausmeisterin net sei.
Die sagt: \"Was is denn, meine Herrn?
Tun S' mir doch den Hausfrieden nicht stör'n!
Denn eines weiß ich ganz gewiß,
daß die Leich
der Hofer is!\"