Mythos Selbstmord-Lemming
Wir kennen und lieben sie, die kleinen Lemminge von Zeichner Joscha Sauer. Ihr allgegenwärtiges Ziel ist es, sich selbst aus diesem Leben zu entfernen.
Das Wort "Lemming" verbindet man immer irgendwie mit Suizid. Es gibt das Bild von der steilen Klippe am Meer, zu der die Lemminge massenweise hinrennen, um dann ins Meer zu stürzen und kollektiven Selbstmord zu begehen.
Aber was ist da dran? Tiere sind alles mögliche, aber bestimmt nicht blöd. Sie haben wie wir Menschen ihre Instinkte, die sie schützen. Im Gegensatz zu uns hören sie allerdings besser darauf. Ein Hauptinstinkt ist der Selbsterhaltungstrieb. Das heißt: sich zu ernähren und genug Wasser zu haben, sich zu wärmen oder abzukühlen, in Sicherheit zu schlafen, bei Krankheit zu erholen, sein Revier zu verteidigen, sich vor Giften und Feinden zu schützen und sich nicht unnötig in Gefahr zu begeben.
All diese Punkte werden von uns Menschen vernachlässigt oder ignoriert. Wir tun alles, um uns langsam aber sicher umzubringen. Wir essen und trinken nicht, zu viel oder das Falsche. Wir schlafen zu wenig. Wir vergiften unsere Umwelt, verteidigen unsere Länder und unsere Lebensart nicht, sondern geben alles preis und zerstören es. Viele rühmen sich sogar noch, wie sehr sie das Land verachten, in dem sie in Sicherheit geboren wurden und in Frieden und relativem Wohlstand aufwuchsen. Durch den Konsum von Substanzen, die unser Bewusstsein und unser Verhalten verändern, tun wir uns auch keinen Gefallen. Aber wir sind ja auch Menschen.
Sollten die Lemminge ähnlich ... selbstvergessen sein?
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Pass auf. Hier kommt die wahre Geschichte.
Und zunächst ein Bild des Verdächtigen. Wie sieht er aus, der Lemming?
Lemminge sind kleine Nagetiere, etwa 15 cm lang. Sie gehören zur Gattung der Wühlmäuse und sind eigentlich Einzelgänger so wie unsere Feldhamster etwa. Außerdem sind sie sehr wehrhaft und nicht an Kontaktaufnahme interessiert. Sie boxen, zischen und wehren sich gegen Belästigungen. Sogar im Hosenbein des berühmten Zoologen Alfred Brehm soll sich mal eins verbissen haben. Trotzdem nannte Brehm sie "schmucke, behände und mutige Geschöpfe"; er mochte sie eben.
Es gibt Echte Lemminge, Moorlemminge, Waldlemminge, Steppenlemminge, Halsbandlemminge und Mull-Leminge. Die können wieder nach ihrem Herkunftsgebiet unterschieden werden; z. B. die Sibierischen Lemminge.
Lemminge sind sehr fruchtbar, da sie zur Arterhaltung viele Nachkommen brauchen. Weil sie so oft gefressen werden von Größeren wie Eulen, Füchsen und besonders dem Hermelin. Da diese Räuber auch wieder bestimmten Schwankungen in der Größe ihrer Populationen unterliegen, werden mal mehr, mal weniger Lemminge gefressen. Im letzeren Fall, dem eigentlich guten für den einzelnen Lemming, passiert aber Folgendes:
Werden weniger Lemminge Beute der Räuber, so wächst ihre Anzahl ständig. Schließlich werden es zu viele.
Es gibt Nahrungsknappheit. Außerdem gehen sich die Tiere extrem gegenseitig auf die Nerven, da sie wie gesagt Einzelgänger sind und eigentlich ihre Ruhe haben wollen. Diese Stress-Situation führt zu einer Wanderbewegung, sozusagen auf der Suche nach Nahrung und Lebensraum, nach Ungestörtheit. Bei dieser Wanderung legen die kleinen Tiere bis zu 15 km am Tag zurück und sind dabei hart im Nehmen. Sie klettern, laufen, rennen und durchschwimmen Gewässer. Alles, um eine neue Heimat (und Ruhe vor den Artgenossen) zu finden. Bei diesen strapaziösen Ereignissen können die ohnehin schon geschwächten Lemminge sterben, vor Hunger, Entkräftung oder im Wasser durch Ertrinken.
Wenn sie so hartnäckig und angeschlagen in größeren Gruppen ihren Weg verfolgen und dabei auch vor Gewässern nicht zurückschrecken, da könnte man vermuten, sie stürzen sich absichtlich in den Tod. Dachten sich auch Leute, die das beobachteten. Das ist aber erstens falsch und auch zweitens nicht der Hauptgrund für den Selbstmörder-Mythos der Lemminge.
Denn diese weit verbreitete Fehlannahme beruht letzlich auf einem Schwindel von Disney. Ja, richtig.
1958 drehte man da einen später oskarprämierten Dokumentarfilm, der heißt "Weiße Wildnis". Darin wurde das Leben arktischer Tiere beschrieben. Lemminge, Eisbären, Polarfüchse und andere Lebewesen kamen darin vor. Bei diesem Dokumentarfilm nun hat man ganz schön gelogen. Und es wurden absichtlich Lemminge getötet.
Gedreht wurde im kanadischen Alberta, wo es gar keine Lemminge gibt. Also kaufte man welche, brachte sie dahin und schleuderte die Ärmsten dann kamerawirksam von einer schneebedeckten Drehscheibe ins Wasser. Anschließend filmte man die im Meer treibenden ertrinkenden Tiere. Alles für den Film. Disney?!
Viele Millionen Menschen weltweit sahen diesen Film und bestaunten die kleinen Lemminge, die scheinbar freiwillig mit Anlauf in ihren Tod sprangen. Das hat, neben der schon genannten Beobachtung der wirklichen Wanderbewegungen, entscheidend zur Bildung des suizidalen Images der unglücklichen Nager beigetragen. Denn auf die wahren Hintergründe, die Bösartigkeit der Disney-Filmemacher in diesem Fall, kam ja damals kein Mensch.
So, und nu - weißte Bescheid....
Filmausschnitt aus Disneys "White Wilderness" / 1958
Und zum Abschluss noch ein Comic für Dich: