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Unverzeihlich ?

Über die Strafanzeige gegen die Bundeskanzlerin und die Rechtssituation

www.kritisches-netzwerk.de
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Wegen ihrer Handlungsweise im Zusammenhang mit der Wahl des thüringischen Ministerpräsidenten wurde heute gegen die Bundeskanzlerin eine Strafanzeige gestellt. Das berichtet unter anderem die NZZ. 

 

Hier habe ich Dir mitgebracht, was die große Züricher Tageszeitung uns darüber berichtet:

 

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"Die Alternative für Deutschland hat eine Strafanzeige gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel gestellt. Mit ihren Äusserungen zur Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen habe sie ihr Amt missbraucht, hält die AfD in einer Pressemitteilung fest.


Merkel äusserte sich zur Wahl bei einem Staatsbesuch in Südafrika. Sie nannte den «Vorgang» der Thüringer Wahl «unverzeihlich» und sagte, das Ergebnis müsse rückgängig gemacht werden. AfD-Chef Jörg Meuthen sieht in dieser Intervention einen «klaren Fall von Amtsmissbrauch mit Verletzung der Chancengleichheit der Parteien». Merkel habe in Südafrika nicht als CDU-Mitglied gesprochen, sondern als deutsche Regierungschefin.


Wegen Merkels Bemerkungen zu Thüringen hat die AfD nach eigenen Angaben beschlossen, eine rechtliche Abmahnung mit Unterlassungserklärung gegen die Bundeskanzlerin wegen Amtsmissbrauchs einzureichen. Ausserdem stellte die Partei Strafanzeige wegen Nötigung des Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich, der mittlerweile zurückgetreten ist. "

 

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Wie ist das nun eigentlich, wenn jemand die Kanzlerin, die Regierung, die Regierungsmitglieder verklagt ?

 

Was wissen wir darüber ? Geht das überhaupt ? Gibts solche Anzeigen öfter ? Was passiert mit so einer Anzeige ? Ist es schon vorgekommen, dass wegen so einer Anzeige ein Kanzler oder ein Regierungsmitglied verurteilt wurde ? Wie ist das mit der Immunität von Parlamentariern und der im Grundgesetz festgelegten Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz ? Was ist mit der Gewaltenteilung, die uns vor Machtmissbrauch der Amtsinhalber schützen soll ?

 

Wie Du siehst, stellen sich hier viele Fragen. 

 

Die Recherche ergibt Ernüchterndes.

 

 

 

Kein EU-Land hat so ein Rechtssystem ohne wirksame Gewaltenteilung wie wir. Nie hat ein anderes demokratisches Land unser Rechtssystem übernommen.

 

Deswegen können in diesen Staaten, z. B. in Italien, auch amtierende Regierungsmitglieder strafrechtlich verfolgt werden. Bei uns nicht. D. h., der gesamte deutsche  Regierungsapparat ist vor Strafverfolgung geschützt, weil der eigene Justizminister der Justiz (in Person des Generalbundesanwalts) gegenüber weisungsberechtigt ist.

 

Ich weiß nicht, wie es Dir geht. Aber der Zusammenhang war mir bisher nicht klar. Wenn ich ehrlich bin, dann schockiert mich dieser Hintergrund.

 

Es gibt eine sehr aufschlussreiche Website von Juristen, die sich mit der Thematik kompetent beschäftigen. Ich empfehle Dir, dort mal nachzulesen; Du findest sie mit dem roten Buttton. Man versteht danach einiges besser.

 

Dazu bemerkt Richter Udo Hochschild vom Verwaltungsgericht Dresden:[26]

„In Deutschland ist die Justiz fremdbestimmt. Sie wird von einer anderen Staatsgewalt – der Exekutive – gesteuert, an deren Spitze die Regierung steht. Deren Interesse ist primär auf Machterhalt gerichtet. Dieses sachfremde Interesse stellt eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Rechtsprechung dar. Richter sind keine Diener der Macht, sondern Diener des Rechts. Deshalb müssen Richter von Machtinteressen frei organisiert sein. In Deutschland sind sie es nicht.

 Quelle: www.gewaltenteilung.de (Archiv)

Ein Rechtsstaat sollte Gewaltenteilung, d. h. eine Trennung von Gesetzgebung (Legislative), ausführenden Organen (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative) haben.

 

In Deutschland sind Exekutive und Judikative nicht getrennt. D. h. der Justizminister als Teil der ausführenden Gewalt ist dem Generalbundesanwalt als Teil der Rechtsprechung weisungsberechtigt. 

 

Der Justizminister kriegt seine Weisungen vom Bundeskanzler. D. h. Bundeskanzler/in kann den Justizminister anweisen, dem Generalbundesanwalt die Ermittlungen zu untersagen. Damit ist Rechtsprechung in Deutschland nicht unabhängig.

 

Das bedeutet, dass ein amtierender Bundeskanzler eigentlich nie verurteilt werden kann (es sei denn, er will es), weil er seine eigene Strafverfolgung verbieten kann. Gefährlich wird es für Kanzler oder Kanzlerin erst, wenn sie aus dem Amt heraus sind. Dann könnte ihr Nachfolger die Strafverfolgung seines Vorgängers zulassen. Aber auch dann müsste erst noch ihre Immunität aufgehoben werden, was auch Voraussetzungen hat. Immunität genießen in Deutschland nicht automatisch Kanzler und Regierung, sondern nur Abgeordnete. Da aber alle Regierungsmitglieder gleichzeitig meist Abgeordnete sind, sind sie damit vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt.

 

Juristisch steht dieser Fakt schon länger in der Kritik. Auch entsprechende Reformvorschläge wurden unterbreitet, aber nie umgesetzt. Die Gewaltenteilung wurde im Grundgesetz festgelegt, aber faktisch nicht realisiert (auch wenn Schullehrmaterial das etwas anders darstellt). Das Grundgesetz selber war als Übergangslösung 1949 geschaffen worden und sollte aus damaliger Sicht nur bis zur Überwindung der deutschen Teilung gelten. Ab 1990 galt das GG aber dann für ganz Deutschland.

 

 

Im Juni 2014 sagte der Richter Udo Hochschild vom Verwaltungsgericht in Dresden: 

"In Deutschland hat bis heute keine Übertragung der rechtsprechenden Gewalt auf einen eigenen Machtträger stattgefunden. Sie ist ein Teil des Geschäftsbereichs der Regierung geblieben. Nach 1945 wie vor 1945. Nach 1949 wie vor 1949. Bis zum heutigen Tage." (Richter Udo Hochschild) / Quelle: www.gewaltenteilung.de (Archiv)

 

Ich verstehe Herrn Richter Hochschild so: Will ich Gewaltenteilung, dann muss es eine unabhängige Judikative geben. D. h., der Generalbundesanwalt darf nicht dem Justizminister gegenüber weisungsgebunden sein. Wenn der GBA es für nötig erachtet, kann er Ermittlungen aufnehmen und Strafanzeigen verfolgen, ohne dass es ihm jemand zu verbieten vermag.

 

Diesen rechtlichen Hintergrund kennen natürlich auch Politiker und andere hochrangige Staatsbeamte, die trotzdem Strafanzeigen stellen, so wie der Fall jetzt mit der Kanzlerin.

 

Diese Kläger wissen, dass es hier nur darum gehen kann, öffentliche Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Ereignis zu erreichen. Denn Strafanzeigen dieser Art werden von der Generalbundesanwaltschaft immer abgelehnt und nicht weiter bearbeitet. Aber es gibt auch Kläger, die das nicht wissen und dann sicher nicht verstehen, warum ihr Anliegen einfach abgelehnt wird.

 

Es gab jede Menge Anzeigen gegen die Bundesregierung in den letzten Jahren. Zum Beispiel wegen Hochverrats durch die unkontrollierte Grenzöffnung im Jahr 2015 und deren Folgen wurden allein von Sommer 2015 bis Sommer 2017 über 1000 Strafanzeigen gegen die Kanzlerin gestellt ("Zeit online" HIER.).

 

Alle wurden abgewiesen.

 

Ich verstehe jetzt wenigstens, warum.

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Oliver Haas, youtuber "Oli", macht sich auch so seine Gedanken dazu. Hör mal rein:

 

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