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Hervorgeholt: Draußen vor der Tür - Wolfgang Borchert

"Ich bringe Ihnen die Verantwortung zurück!"

Das ist Wolfgang Borchert.

 

Er hatte nur ein kurzes Leben, in einer schweren Zeit (1921 - 1947). Trotz seiner Jugend war er ein großer Dichter. 

 

Er schrieb Gedichte, Kurzgeschichten und ein bekanntes Bühnenstück.

 

Ich habe das erste Mal durch dieses einzige Drama von ihm gehört. "Draußen vor der Tür" heißt es. Wolfgang Bochert schrieb es in nur acht Tagen.

 

Darin geht es um die Geschichte eines jungen Mannes, Herrn Beckmann, der nach dem zweiten Weltkrieg in seine zerstörte Heimatstadt Hamburg zurückkehrt. Eine bewegende und faszinierende Geschichte, sehr autobiografisch. Des Dichters Sprache ist kraftvoll und deutlich, dabei trotzdem sensibel und voller Fantasie. Er lässt die Elbe sprechen, als reife, kluge Frau. Die will den Jungen nicht haben, der sich verzweifelt in ihr ertränken will. Sie schickt ihn zurück ins Leben.

 

Die Elbe sagt ihm:

 

"Ich will dein armseliges bißchen Leben nicht. Du bist mir zu wenig, mein Junge. Lass dir das von einer alten Frau sagen: Lebe erst mal. Lass dich treten. Tritt wieder! Jetzt verschwindest du hier, mein Goldjunge. (...) Halt den Mund, mein kleiner Menschensohn! (...) Du Säugling. Pass gut auf, was ich mit dir mache. (laut) Hallo, Jungens! Werft diesen Kleinen hier bei Blankenese wieder auf den Sand! Er will es nochmal versuchen, hat er mir eben versprochen. Aber sachte, er sagt, er hat ein schlimmes Bein, der Lausebengel, der grüne!"

 

Er schlägt sich so durch und sucht vergeblich seinen Platz. Herr Beckmann besucht auch seinen ehemaligen Vorgesetzten, einen Oberst, der ihm einst einen besonderen Kriegseinsatz befahl. Borcherts junger Mann sagt verzweifelt zu dem Älteren: "Ich bringe Ihnen die Verantwortung zurück." Weil er damit nicht mehr leben, nicht schlafen und doch auch nicht sterben kann. Der Ältere verdrängt das, denn er hat sich arrangiert mit seinem Leben. Und zwar ganz gut.

 

Hier ein Ausschnitt aus dem starken Dialog:

 

Wolfgang Borchert / Foto: Hamburger Abendblatt 2017 / Heidi Boykes / Staats- und Universitätsbibliothek
Wolfgang Borchert / Foto: Hamburger Abendblatt 2017 / Heidi Boykes / Staats- und Universitätsbibliothek

"Man mutet sich so leichtfertig anderen Menschen zu, dabei kann man sich kaum selbst ertragen." (W. Borchert)

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Oberst: Was wollen Sie denn von mir ?

 

Beckmann: Ich bringe sie Ihnen zurück.

 

Oberst: Wen ?

 

Beckmann beinah naiv: Die Verantwortung. Ich bringe Ihnen die Verantwortung zurück. Haben Sie das ganz vergessen, Herr Oberst ? Den 14. Februar ? Bei Gordok. Es waren 43 Grad Kälte. Da kamen Sie doch in unsere Stellung, Herr Oberst, und sagten: Unteroffizier Beckmann. Hier, habe ich geschrien. Dann sagten Sie, und Ihr Atem blieb an Ihrem Pelzkragen als Reif hängen - das weiß ich noch ganz genau, denn Sie hatten einen sehr schönen Pelzkragen - dann sagten Sie: Unteroffizier Beckmann, ich übergebe Ihnen die Verantwortung für die zwanzig Mann. Sie erkunden den Wald östlich Gorodok und machen nach Möglichkeit ein paar Gefangene, klar ? Jawohl, Herr Oberst, habe ich da gesagt. Und dann sind wir losgezogen und haben erkundet. Und ich - ich hatte die Verantwortung. Dann haben wir die ganze Nacht erkundet, und dann wurde geschossen, und als wir wieder in der Stellung waren, da fehlten elf Mann. Und ich hatte die Verantwortung. Ja, das ist alles, Herr Oberst. Aber nun ist der Krieg aus, nun will ich pennen, nun gebe ich Ihnen die Verantwortung zurück, Herr Oberst, ich will sie nicht mehr, ich gebe sie Ihnen zurück, Herr Oberst.

 

Oberst: Aber mein lieber Beckmann, Sie erregen sich unnötig. So war es doch nicht gemeint.

 

Beckmann ohne Erregung, aber ungeheuer ernsthaft: Doch. Doch, Herr Oberst. So muss das gemeint sein. Verantwortung ist doch nicht nur ein Wort, eine chemische Formel, nach der helles Menschenfleisch in dunkle Erde verwandelt wird. Man kann doch Menschen nicht für ein leeres Wort sterben lassen. Irgendwo müssen wir doch hin mit unserer Verantwortung. Die Toten - antworten nicht. Gott - antwortet nicht. Aber die Lebenden, die fragen. Die fragen jede Nacht, Herr Oberst......

 

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Es gibt eine sehr gute Hörspielfassung vom Februar 1947 (!), die habe ich Dir hier unten angehangen. Höre Dir das mal in Ruhe an. Es ist wirklich beeindruckend. Erschütternd der junge Heimkehrer, so nachvollziehbar seine Fragen. Ich weiß noch, wie ich gebannt am Radio saß, als ich dieses Stück das erste Mal hörte.

 

In dem Zusammenhang meine Erfahrung mit alten Hörspielen, Nachkriegszeit bis in die sechziger Jahre: Die sind oft unglaublich gut gemacht. Mit tollen Sprechern, gezielten Effekten, kluger Regie. Es gibt nicht diese Effekthascherei der späteren Zeit, wo es immer überall klingelt, fiept, wummert, knirscht und kracht - weil man es technisch kann. Die Sprache ist klar. Ich liebe diese alten Hörspiele, dabei gibts auch paar gute Verarbeitungen klassischer Werke, z. B. von Goethe oder Lessing.

 

"Draußen vor der Tür" wurde sehr erfolgreich im Theater gespielt. Auch heute noch wird das Stück aufgeführt; es findet sich beispielsweise auf dem Spielplan des Pygmaliontheaters in Wien, klicke HIER. Die Bühnenpremiere seines ersten größeren Werkes erlebte der junge Autor nicht mehr. Wolfgang Borchert starb nach langer kriegsbedingter Krankheit bei einem Kuraufenthalt in der Schweiz nur einen Tag vor der Uraufführung seines Stückes an den Hamburger Kammerspielen. Die Schauspieler erfuhren von seinem Tod erst kurz vor Beginn der Premiere. Der Regisseur Wolfgang Liebeneiner verkündete die traurige Nachricht dem Publikum. An diesem Abend saßen auch seine Eltern dort. Stell Dir das vor.

 

Was hätte aus diesem jungen Dichter noch werden können.

 

Wie war sein kurzes Leben ?

 

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Theaterplakat aus Hamburg / www.wikipedia.org
Theaterplakat aus Hamburg / www.wikipedia.org

 

Wolfgang Borchert wurde am 20. Mai 1921 in Hamburg geboren und wuchs dort als einziges Kind kulturinteressierter Eltern auf. Sein Vater war Lehrer, seine Mutter, zu der er zeitlebens eine besondere Nähe hatte, Heimatdichterin. Schon als Jugendlicher schrieb Wolfgang und machte später eine Buchhändlerlehre. Die Lehre brach er aber ab, weil er doch lieber Schauspieler werden wollte, nachdem er eines Tages Gustaf Gründgens im "Hamlet" gesehen hatte. Nach beendeter Schauspielerausbildung 1941 ging er ans Lüneburger Theater und hatte dort sein erstes Engagement, es währte nur wenige Monate. Seine glücklichste Zeit. Bald aber wurde er an die Front einberufen, es war schon seit zwei Jahren Krieg.

 

Dann folgte eine schwere Zeit für den damals erst Zwanzigjährigen. An der Ostfront, unterbrochen von Haft aufgrund kritischer Äußerungen, dann erneute Frontbewährung. Später Fronttheater, Lazarettaufenthalte wegen Infektionen mit Gelbsucht und Fleckfieber. Dann krankheitsbedingt kriegsuntauglich und Dienst in einer Jenaer Garnision. Hier wurde er aufgrund einer Goebbels-Parodie verhaftet und nach Berlin-Moabit in Untersuchungshaft gebracht. Nach mehrmonatiger Haft kehrte er nach Jena zu seiner Garnision zurück, wo er das Kriegsende erlebte. In sehr schlechtem Gesundheitszustand floh er aus der dortigen Kriegsgefangenschaft. Er sprang von einem Lastwagen und schlug sich nach Hause nach Hamburg durch.

 

Dort kam er 1945 am zehnten Mai schwer erkrankt an. Im zerstörten Hamburg. Die Eltern lebten. Wolfgang wurde im Elisabeth-Krankenhaus aufgenommen und 1946 als unheilbar entlassen. Da war er gerade mal 25 Jahre alt. Ich stelle mir die Trauer der Eltern vor. Wie froh werden sie gewesen sein, dass ihr einziges Kind aus dem Krieg zurückkam. Aber eben nicht wohlbehalten, sondern schwer krank. 

 

Die ganze Zeit, zwischen seiner Rückkehr nach Hause bis zum Tod schrieb der junge Dichter. Er erlebte noch den Erfolg seines Dramas, als es als Hörspiel ausgesendet wurde. Daraufhin interessierte man sich auch für seine anderen Werke.

 

Am 21. November 1947 starb Wolfgang Borchert in Basel. Er wurde sechsundzwanzig Jahre alt.

 

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"Die Hundeblume" heißt eine Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert. Darin geht es um so eine Löwenzahnblüte, die von einem Gefangenen im Gefängnishof erspäht und unter schwierigen Umständen gepflückt wird. Die Blume rettet ihn.
"Die Hundeblume" heißt eine Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert. Darin geht es um so eine Löwenzahnblüte, die von einem Gefangenen im Gefängnishof erspäht und unter schwierigen Umständen gepflückt wird. Die Blume rettet ihn.

 

Wolfgang Borcherts  Gesamtwerk kann im Kindle-Format heruntergeladen werden; Link dazu HIER.

 

Oder man kauft sich das Buch, auch in verschiedenen Ausgaben bei Amazon erhältlich.

 

 

Wolfgang Borchert gehört zu den Menschen, die uns durch ihr Werk gegenwärtig sind. Ihn hätte ich gerne persönlich kennengelernt. Er war bestimmt beeindruckend: voller Kraft, voller Ideen, voller Ernsthaftigkeit, voller Widerspruchsgeist und auch Humor, Lebenshunger und Tatendrang.

 

Ein Kämpfer. Ein Dichter. Einer, der bleibt.

 

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Wolfgang Borchert / @akg-images
Wolfgang Borchert / @akg-images