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Der Frau-Mutter-Stuhl zu Forchheim (2)

Die Rache des Goldenen

Das goldene Männlein ohrfeigt man nicht ungestraft..
Das goldene Männlein ohrfeigt man nicht ungestraft..

 

Nachdem sich also nun unser Melchior so respektlos gegen das goldene Männchen verhalten hatte und mit seinem Bierhumpen aus der Küche in die Kammer gegangen war - da lachte er leise vor sich hin. Denen würde er es zeigen - Aberglauben und Geisterkram waren nicht seine Sache - er war ein aufgeklärter Mann und glaubte nur das, was er sah und was ihm auf natürliche Weise erklärbar schien. Geisterpuppen auf staubigen Stühlen gehörten sicher nicht dazu.

 

Es war schon spät am Abend, morgen früh musste Melchior sich beizeiten um die Pferde kümmern. Seine Schlafkammer, in der er jetzt am Fenster stand und rauchte, lag gleich nebenan der Ställe. Leise grummelten und wieherten die Pferde, schön klang das - so gemütlich. Es beruhigte und machte schläfrig. Melchior tat noch einen Blick zum Schloss gegenüber  und meinte kurz, ein kleines Flackern ganz oben am Dachfenster zu sehen.

 

Aber er rief sich zur Ordnung, wusch sich frierend mit eiskaltem Wasser und legte sich zu Bett. Fast augenblicklich war der Knecht eingeschlafen, sobald er sich nur unter der dicken Federdecke ausgestreckt hatte - der beste Moment des Tages, so sagte Melchior immer. Meist schlief er wie ein Stein, um sich schon nach wenigen Stunden wieder an seine Aufgaben zu begeben. Und das nicht immer gut gelaunt. Vor allem im Spätherbst und Winter, wenn es früh dunkel und kalt war, wäre er so gerne noch im warmen Bett geblieben.

 

Auch heute schlief Melchior schon, kaum dass er lag.... Dabei träumte er von hohen, finsteren  Bäumen, unter denen er entlangrannte, nein - entlangfloh -. Etwas unsagbar Grässliches verfolgte ihn; wälzte sich hinterrücks auf ihn! Wie ein Fels saß es auf seiner Brust - und grinste. Melchior bekam keine Luft mehr, wehrte sich verzweifelt und - erwachte mit einem Schrei. Und er erstarrte, als er zu sich kam. Denn weiterhin rang er heftig nach Luft; auf seiner Brust saß auch hier im Wachsein ETWAS. JEMAND!

 

Es war der Goldene. 

 

Das Männchen wog viel schwerer als es aussah. Melchiors Brust steckte wie in einer Schraubzwinge. Es lachte böse, funkelte ihn aus schmalen, blitzenden Augen an und - war weg.

 

Im Forchheimer Wald
Im Forchheimer Wald

 

Am nächsten Tag war Melchior still und in sich gekehrt. Es gab viel Arbeit für alle Schlossbewohner und Bediensteten in diesen Tagen vor Weihnachten. Es wurde geputzt, gekocht, gebacken, geräumt, geschmückt und vorbereitet. Vorfreude verbreitete sich. Man sang, lachte und tratschte während der Arbeiten. Deshalb fiel es keinem so recht auf, dass ausgerechnet Melchior anders war. Nur der Graubärtige, der sich heute von ihm fernhielt, guckte misstrauisch  auf seinen derangierten Kollegen.

 

Aber auch er merkte nicht, dass sich Melchior heimlich auf den Dachboden schlich, den Lehnstuhl putzte, wieder an seinen Platz rückte und mit zitternder Hand das goldene Männchen, was jetzt harmlos und puppenhaft leblos da lag, vorsichtig in seine respektable, frühere Sitzhaltung brachte. Dann stürzte Melchior wieder hinunter, weg von diesem unheimlichen Ort. Bitter bereute er jetzt sein grobes und unvorsichtiges Benehmen. Ein Wort der Entschuldigung hatte er nicht an das Männlein gerichtet.

 

In der nächsten Nacht wiederholte sich die Heimsuchung durch den Goldenen. Noch länger und härter dauerte die Tortur, noch größer, stärker und lebendiger wirkte diesmal das Männlein. Erbärmlich ächzend und schlaflos wälzte sich Melchior auf seinem Lager und stand noch früher auf als nötig. Bleischwer waren Arme und Beine; dumpf der Kopf, die Brust schmerzte wie von Faustschlägen. Tatsächlich fürchtete sich Melchior das erste Mal so entsetzlich, seit er erwachsen und kein kleiner Junge mehr war. Und diese Angst war berechtigt, eben das wusste er genau.

 

Denn auch in der dritten Nacht kam das Männlein wieder. Diesmal wütete es noch stärker, lachte grässlich, blitzte mit den Augen wie der Leibhaftige und beschimpfte mit schnarrender und zugleich hohler Stimme Melchior auf üble Weise. Es warf kurzerhand mit einem Rums den Knecht aus dem Bett, so schwungvoll, dass der laut und äußerst schmerzhaft gegen die Kammerwand prallte, dann wie ein Sack wieder heruntersank. Mehr tot als lebendig.

 

Bei diesem Durcheinander fiel auch Melchiors Nachttisch um und brach sich ein Bein. Der Tabak für die Pfeife, welcher in einer Dose oben auf der Nachttischplatte gestanden hatte, verstreute sich durch das kleine Zimmer. Krümmelte dabei auch über Melchior und das goldene Männchen, das kurz darauf verschwand.

 

***

 

Wappen der Familie von Berbisdorf, Erbauer von Schloss Niederforchheim
Wappen der Familie von Berbisdorf, Erbauer von Schloss Niederforchheim

 

Melchior war nun nur noch ein Schatten seiner selbst. Er zitterte am ganzen Leib, war nicht arbeitsfähig, aß nicht und sollte erklären, was ihm fehle. Aber er fand keine Worte und stotterte nur. Da fasste sich der Graubärtige ein Herz und erklärte den anderen, was sich vor drei Nächten auf dem Dachboden des Schlosses zugetragen hatte. Alle waren entsetzt. Sofort formierte sich eine kleine Gruppe aus drei besonders herzhaften Personen. Das waren die alte Köchin, die Magd mit dem dicken Hintern und ein Schmied, der zufällig auf dem Schlosshof für die Herrschaft etwas zu tun hatte. Letzterer ging wohl nur wegen der Magd mit, oder wegen ihres Hinterns ....

 

Alle drei stiegen vorsichtig hintereinander die Bodentreppe hinauf, nicht ohne sich vorher bewaffnet und gut zugesprochen zu haben.

 

Sie erreichten die Dachschräge am Giebel, wo der alte Stuhl ordentlich an seinem Platz stand, wie immer. Und darauf saß, auch wie immer, das goldene Männchen. Doch war der Stuhl nun glänzend poliert und entstaubt, nur der Goldene hatte ein paar eigenartige Krümel am Wams.

 

Der Schmied trat näher und prüfte, was das war - Tabak, jawohl. Man wunderte und fürchtete sich plötzlich noch mehr, das Grauen war greifbar. Nach einem kurzen Moment der Ruhe gingen die drei. Es war unheimlich.

 

***

 

Sich bei dem Männchen zu entschuldigen, daran dachten sie in ihrer inneren Not, so wie auch kürzlich der malträtierte Melchior, nicht.

 

Als Köchin, Magd und Schmied die Treppe hinunterstiegen und dem Dachboden schon die Rücken zuwandten, sahen sie nicht das flackernde Leuchten in den Augen des Goldenen, nicht die eiskalte Wut, die seine Puppenmiene nun ausdrückte.

 

***

 

Alter Baum am Schloss
Alter Baum am Schloss

 

Am nächsten Tag war der 24. Dezember.

 

Man feierte Weihnachten, so gut man es unter diesen Umständen vermochte. Die Geschichte vom Goldenen und Melchior hatte sich rasend schnell herumgesprochen. Nicht nur alle Schlossbewohner, also Herrschaft, Gäste und Bedienstete, wussten davon. Auch die Dorfleute in ganz Forchheim kannten die Lage; waren vorsichtig und abwartend. Weniger als sonst an solchen Feiertagen wurde dem Bier, Wein und Schnaps zugesprochen. Man wollte richtig reagieren können, falls sich ein Unglück ereignete.

 

 

***

 

Und wirklich: In der Stunde nach Mitternacht hörte man plötzlich laute Schreie. Vom Dorf war roter Feuerschein am Himmel zu erkennen. Sofort wussten alle, woher es kam: Das Schloss brannte! Mutig kämpfte man gegen die Flammen. Der Dachstuhl brannte komplett aus, bevor das Feuer endlich besiegt werden konnte. Schwer verletzt oder getötet wurde keiner. Auch das Gebäude selbst blieb, bis auf Obergeschoss und Dach, erhalten.

 

Bei den Aufräumungsarbeiten fanden sich jede Menge verkohlter Überreste der Dinge, die hier auf dem Dachboden lagerten - wobei wir wieder am Anfang unserer Geschichte wären. Das meiste war nun wirklich nicht mehr zu gebrauchen. Auf der Giebelseite, wo der Stuhl mit dem Männlein so lange unverrückt stand, hatte es am heftigsten gebrannt. Niemand konnte sich erklären, wie gerade da ein Feuer ausbrechen konnte um diese Zeit, wo kein Mensch hier oben mit der Lampe hantierte oder rauchte .....

 

Nur eine Schicht Asche bedeckte den geschwärzten, noch schwelenden Fußboden. Stuhl und Männlein waren wohl verbrannt ....

 

***

 

Viele Jahrzehnte vergingen.

 

Längst war der Brandschaden beseitigt, das Dach erneuert, das Obergeschoss wieder eingerichtet worden. Auch ging schon genug Zeit ins Land, um wieder alten Kram auf dem neuen Dachboden anzuhäufen und die Menschen, die damals alles miterlebt hatten, unter die Erde zu bringen. Neue traten ins Leben.

 

Eines Sonntags, wieder war es kurz vor Weihnachten,  erschien der junge Baron zu Besuch bei seinen Eltern auf Schloss Forchheim. Alle waren schon neugierig und aufgeregt, denn heute würde er das erste Mal seine Braut mitbringen. Ein sehr schönes, etwas eigenartiges Fräulein mit kohlschwarzem Ringelhaar und bernsteinfarbenen Augen, in denen es zu glimmen und zu flackern schien. Ida, so hieß sie, trank gerne kannenweise Kaffee, ritt wie der Teufel auf dem großen schwarzen Hengst des alten Barons, hackte tags mit dem Knecht Holz und las nachts Bücher oder hörte an einem großen Kasten mit Trichter, der Grammophon hieß, Musik und wissenschaftliche Beiträge.

 

Manchmal ging sie im dunklen Schlosspark spazieren, während sie sich laut mit ihrer Puppe unterhielt.

 

Einem goldenen kleinen Kerl in altmodischer Kleidung. 

 

Bei Mondlicht nachts im Schlosspark. Wenn Du genau hinguckst, kannst Du Ida und den Goldenen sehen ....
Bei Mondlicht nachts im Schlosspark. Wenn Du genau hinguckst, kannst Du Ida und den Goldenen sehen ....