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Der Frau-Mutter-Stuhl zu Forchheim (1)

Geheimnisvolles aus dem alten Schloss am Haselbach

Schloss und Rittergut Niederforchheim
Schloss und Rittergut Niederforchheim

 

Sucht man im "Sagenschatz des Königreichs Sachsen" von Johann Theodor Grässe nach dem Ort Forchheim bei Pockau/Lengefeld, dann findet man eine erstaunliche Geschichte, die sich dort vor ungefähr dreihundert Jahren zugetragen haben soll. Sage Nr. 495 aus diesem Buch berichtet davon, zum Originaltext kommst Du HIER. Die Geschichte heißt "Der Frau-Mutter-Stuhl zu Oberforchheim".

 

Da in der Sage vom Schloss an der Straße zwischen Annaberg und Freiberg die Rede ist, kann man davon ausgehen, dass hier das Rittergut mit Schloss Niederforchheim gemeint ist und nicht das Rittergut Oberforchheim, dass es auch noch gibt - zu dem aber die Angaben nicht so recht passen - wenn ich das richtig verstehe. Wer Genaueres weiß, korrigiert mich bitte.

 

Also, was ist passiert - damals - im Niederforchheimer Schloss?

 

Es könnte vielleicht ungefähr so gewesen sein, pass' gut auf:

 

Schloss Niederforchheim, Vorderansicht mit Turm
Schloss Niederforchheim, Vorderansicht mit Turm

 

Die Straße von Freiberg nach Annaberg führt schon seit dem 16. Jahrhundert an einem kleinen Schloss vorbei; gleich hinter ihm beginnt die Saidenbachtalsperre - das aber erst seit ungefähr neunzig Jahren.

 

Vor fast dreihundert Jahren standen auf dem Dachboden jenes Schlosses wie auf den meisten Dachböden der Welt allerhand aussortierte Dinge herum. Brauchbares und Nutzloses, Kisten und Kästen, Weihnachtsschmuck und alte Puppenhäuser, Bücher und Dokumente, ausrangierte Kleidung, vielleicht ein Spinnrad, ein alter Sattel, ein gesprungener Topf, ein paar kleinere Fallen, ein Hammer ohne Stiel,  momentan nicht benötigte Babywiegen und andere Möbelstücke (13er Schlüssel, die hier NICHT liegen, gabs damals glaube ich noch nicht).

 

Zu den ausgemusterten Habseligkeiten gehörte auch ein uralter Lehnstuhl, etwas wurmstichig geworden, aber sonst noch tadellos - aus dunkler Eiche mit hoher, geschnitzter Rüchenlehne und breiten Armstützen. Gepolstert war er nicht, das schöne, alte Holz würde geglänzt haben - hätte nur jemand den Staub vom Stuhl gewischt. Dieser Stuhl gehörte einst einer ehrwürdigen Dame, der Frau Mutter; wahrscheinlich eine Frau von Berbisdorf. Längst war sie gestorben und damals der Stuhl hier abgestellt worden. Nicht, weil er schlecht war - oh nein. Frau Mutter hatte Zeit ihres Lebens großen Wert auf Qualität der Menschen und der Dinge, die sie umgaben, gelegt. Der Stuhl war danach. Nur - nach dem Tod der angesehenen Frau wollte keiner so direkt ihren Platz "besetzen".

 

Da nie jemand auf dem massiven Möbelstück saß, stand es nur im Weg herum.  Man stolperte darüber und stieß sich daran. Schließlich war es genug und man räumte das Möbel auf den Speicher.

 

Auf der Sitzfläche des Stuhles aber, in die rechte Ecke gelehnt, saß ein kleines hölzernes Männchen, ungefähr so groß wie eine Männerhand. Golden lackiert war es und in tadellosem Zustand. Erstaunlich. Weder die geschnitzte Frisur noch die Nase oder die feinen Gliedmaßen in dem altmodischen Wams waren beschädigt oder gar verloren gegangen. Obwohl sich das Männlein auf dem verstaubten Stuhl befand, blinkte seine goldene Lackierung wie der helle Tag - kein Körnchen Staub, kein Kratzer störten seine Pracht. Woher das Männchen gekommen war, wem es früher gehört hatte, was es mit Frau Mutter zu tun hatte - ob überhaupt - das .... wusste keiner.

 

Das Holzmännchen vom Frau-Mutter-Stuhl
Das Holzmännchen vom Frau-Mutter-Stuhl

 

Das alles war vielen hier im Schloss unheimlich, weil das schon seit Jahr und Tag so ging. Selbst die Großmütter der heute nicht mehr ganz jungen Küchenmädchen erinnerten sich nur daran, dass dieser Sessel mit der Goldpuppe schon immer, unverrückt, an seinem Platz auf dem Dachboden dort gestanden hätte. Man munkelte, es ginge mit dem Stuhl und dem Männlein nicht ganz geheuer zu; auf gar keinen Fall, hörst Du, auf ÜBERHAUPT GAR KEINEN Fall, dürfe das Möbelstück von seinem Platz gerückt oder gar das Männlein entfernt werden.

 

 

Beide sah man als eine Art Hausgeister des Schlosses an.

 

Alle fürchteten sich ein wenig oder achteten zumindest diese bestehende Tatsache. Mancher erhoffte Schutz. Kinder der hier heranwachsenden Generationen hatten sich schon oft heraufgeschlichen, um einen Blick auf den Goldenen zu werfen - schon das galt als Mutprobe. Nie hatte sich jemand getraut, ihn auch nur einen einzigen Zentimeter von seinem Platz zu schieben oder gar wegzunehmen. Auch der Versuchung, ein Schimpfwort in den Staub auf der Stuhlsitzfläche zu schreiben, der hatten alle Bodenbesucher widerstanden.

 

Davon war man überzeugt und es war nie dergleichen bekannt geworden. Dass manchmal jemand hierherkam, um dem Männlein heimlich sein Leid zu klagen und um Unterstützung und etwas Lebensglück zu bitten, das war auch ein gut gehütetes Geheimnis.

 

Im Dezember liegt Schnee auf den Bäumen im Schlosspark.
Im Dezember liegt Schnee auf den Bäumen im Schlosspark.

 

Eines Abends im Dezember, es war kurz vor Weihnachten, kamen zwei Knechte auf den Boden, um einige Utensilien für den Heiligen Abend zu holen. Sie suchten heraus, was ihnen aufgetragen worden war, dann steckte sich einer von ihnen, der Jüngere namens Melchior, eine Pfeife an. Sein Kollege, ein kleiner Dicker mit grauem Bart und gutmütigem runden Gesicht guckte erschrocken. "Du weißt doch, dass wir hier oben nicht rauchen dürfen...." sagte er ängstlich und leise. Der Rauchende aber war schon mit schlendernden Schritten lässig ein Stück in die Tiefe des Dachbodens zum Giebel hinübergegangen und öffnete ein winziges Fenster. Die Lampe, die er mit sich trug, entfernte sich langsam. "Nanu, was ist das denn?!" rief Melchior. Sein ängstlicher Kollege rückte auf, ebenfalls mit einer Laterne ausgerüstet und sah mit Schrecken, dass Melchior im Begriff war, neugierig den Stuhl aus seiner schützenden Ecke zu sich heran, mehr ins Licht, zu ziehen.

 

"Halt!! So warte doch!" rief der kleine Dicke und packte Melchior am Arm. Aber der befreite sich unwirsch. Nun wollte er es aber wirklich wissen.

 

"So ein Unsinn. Ja, ja, ich kenne die Geschichte wohl. Aber ich glaube nicht an dieses Weibergewäsch, euren dummen Hokuspokus. Ein alter Stuhl und eine hässliche alte Puppe, was soll damit schon sein? .... Den Stuhl würde ich schon noch nehmen ...." - so meinte Melchior, indem er mit der Handfläche den Staub von der Sitzfläche wischte und sofort das glänzende, fast schwarze Holz im Lampenschein aufleuchtete.

 

"Aber diese unangenehme Figur..." - hier nahm er den Goldenen in die Hand und hob ihn näher vor seine Augen - "dieser Holzkumpan taugt fürs Kaminfeuer, mit seiner unangenehmen Fratze möchte man ihn keinem Kind zum Spielen geben ...

 

Der Freche betrachtete die Puppe abschätzig und sah dabei nicht das stärkere Funkeln auf der vom Staub befreiten Sitzfläche des Stuhles. Das Lampenlicht spiegelte sich darin und ein Flackern erinnerte an eine Feuersbrunst. Das aber sah nur unser armer, ängstlicher Graubart. Der schlug die Hände vors Gesicht und murmelte ein Gebet.

 

Vom Staub befreit war der Stuhl ganz schön, fand Melchior - nachdem er das Männlein entfernt hatte .... (Bildergrundlage: https://de.dreamstime.com/credits)
Vom Staub befreit war der Stuhl ganz schön, fand Melchior - nachdem er das Männlein entfernt hatte .... (Bildergrundlage: https://de.dreamstime.com/credits)

 

Da lachte Melchior voller Spott auf, schnitt dem Holzmännchen eine Grimasse und dann - ohrfeigte er es tatsächlich kräftig links und rechts, nannte es "Hackfresse" !!! Oder so ähnlich. Und legte es nachlässig zurück auf den Stuhl. Nicht in des Männchens aufrechter Sitzhaltung, die es so lange Zeit hier oben eingenommen hatte. Sondern achtlos hingeworfen, wie einen alten Fetzen.

 

***

 

Daraufhin fiel der dicke Graubart fast in Ohnmacht vor Entsetzen, fasste sich aber, schimpfte laut und zog Melchior am Arm die hölzerne Bodentreppe herunter. Polternd verließen die Männer die unheimliche, finstere Stätte, während der eine laut jammerte, der andere aber spottete und lachte. Erleichtert atmete der Ängstliche auf, als er endlich den Schlüssel im Schloss der Bodentür drehte, von außen. Melchior aber stieß ihn aufmunternd in die Seite und lachte über seine Geistergläubigkeit.

 

Dann ging er pfeifend davon, schlug im Vorbeigehen einer davoneilenden Magd auf den dicken Hintern und strebte der Küche zu, um sich einen Humpen Bier geben zu lassen. Denn er war auf einmal unheimlich durstig geworden ....

 

Ganz oben im Giebel, da stand vielleicht der Stuhl mit "dem Goldenen" ...
Ganz oben im Giebel, da stand vielleicht der Stuhl mit "dem Goldenen" ...

 

Und wie es nun weitergeht, das erfährst Du in Teil 2, der kommt morgen, am Dienstag.

 

Stille im Schlosspark
Stille im Schlosspark