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In der Wolkensteiner Schweiz

Gute Aussichten für uns

 

Am sonnigen Samstag werden Wünsche in die Tat umgesetzt. Es geht in die Schweiz.

 

Nicht in die Schweizer Schweiz, nicht in die Sächsische oder Böhmische Schweiz - nein; in eine weniger bekannte und auch kleinere: die Wolkensteiner Schweiz. Wer früh aufbricht, hat mehr vom Tag - bei dem Wetter und diesem Ziel auf jeden Fall.

 

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Als wir in Wolkenstein angekommen sind und eine kleine Stadtrunde um den Markt gemacht haben, da frühstücken wir. Beim Bäcker Haase am Markt gibt es nicht nur die hier früher schon beschriebenen legendären "Törtchen im Becher", sondern auch verschiedene, ganz frische warme Brötchen, ein Schweineohr und sehr leckere Kümmelknackwürste mit Knoblauch. Und Kaffee natürlich. Ein angenehmes Gespräch mit der Verkäuferin.

 

Weil coronabedingt das Café vom Bäcker leider noch geschlossen ist, sitzen wir mit dem Frühstück auf einer sonnigen Bank direkt vorm Wolkensteiner Schloss, mit wenigen Schritten vom Markt aus zur erreichen. Es ist noch nicht zehn Uhr und schon warm genug zum Hiersitzen. Neben unserer Frühstücksbank schwimmen ein paar große Fische träge im Schlossfischbecken. Das Schloss selber hat in den letzten Monaten ein neues Schieferdach bekommen, welches tadellos in der Sonne glänzt. Auch die Fassade wurde saniert und leuchtet im Morgenlicht. Ein Teil des aufwändigen Gerüsts steht noch, aber man sieht schon, wie prächtig das Schloss jetzt wieder aussieht.

 

Gut, wenn man sich darum kümmert und solche Bauten nicht verfallen. Die Baumaßnahme hier wird vom Land Sachsen finanziert, wie ein Schild am Schlosseingang verkündet. Auch, wer hier mitwirkt, erfährt man durch die Firmenaushänge am Gerüst. Sicher ein schöner Gedanke, bei so einer Sanierung mitzuarbeiten und später zu wissen: ein Stück davon hab ich dazugetan, dass es jetzt wieder so ist, wie es ist.... Noch was Positives: eine gute Verwendung von Steuergeldern.

 

Dieses Schloss, die kleine Stadt Wolkenstein, die Gegend ringsherum - das sind für mich Lieblingsplätze, Heimat. So schön, hier zu sein.

 

 

Weil wir ja aber nicht nur rumsitzen, sondern auch was erkunden wollen, gehts dann bald los. Vorher wird der Maulwurf noch unabsichtlich vom Winde verweht. Und zwar von der Bank runter in das Wurzelwerk eines mächtigen Baumes hinein, wo der kleine schwarze Kollege nicht gleich auffindbar ist. Nach einigen Minuten habe ich ihn wieder und bin wirklich froh. Er selbst guckt mich giftig an, meckert über meinen Leichtsinn. Auch findet er es nicht witzig, analog zum genannten Film im Laufe des Tages ab und zu Rhett Butler genannt zu werden.... Gegen Clark Gable allerdings hat er nichts und ist wieder versöhnt...

 

Wo wir heute hinwollen? In die Wolkensteiner Schweiz. Was das ist?

 

Das Felsengebiet an der Zschopau um die Brückenklippe herum nennt man "Wolkensteiner Schweiz". Gerade bei gutem Wetter ist die Aussicht von den Gipfeln beeindruckend. Hier ein Blick auf Karte und Infotafel:

 

Infotafel am Brückenfelsen, dem "Zentrum" der Wolkensteiner Schweiz
Infotafel am Brückenfelsen, dem "Zentrum" der Wolkensteiner Schweiz
Wolkensteiner Schweiz - grün eingekreist mit Zentrum Brückenklippe -
Wolkensteiner Schweiz - grün eingekreist mit Zentrum Brückenklippe -

 

Wir gehen vom Marktplatz Wolkenstein in Richtung Annaberger Straße. Diese verfolgen wir ein paar Minuten lang bergab bis zum ausgeschilderten Wanderwegabzweig auf der rechten Seite. Von hier aus gehts zu Wolkensteiner Schweiz, Anton-Günther-Höhe und nach Warmbad. Nach wenigen Metern steht man auf dem Feld und hat rückwärts einen tollen Blick auf den in der Ferne liegenden Pöhlberg, an dessen Fuß die Stadt Annaberg liegt.

 

 

Wir biegen nach links ab und folgen weiter dem schönen Weg, von dem aus man weit ins Land gucken kann. Als nächstes erreichen wir die Anton-Günther-Höhe, einen herrlichen Sonnenplatz mit bester Aussicht nach Wolkenstein hinüber.

 

 

Der Berg heißt "Anton-Günther-Höhe" und ist fast 500 m hoch. Hier gibt es ein Denkmal zu Ehren des Heimatdichters und Sängers Anton Günther und eine Schutzhütte. Bei plötzlichem Regenguss oder Schneesturm eine angenehme Sache. Aber heute sitzen wir lieber draußen, auf einer perfekten Bank etwas abseits zum Tal hin. Ein guter Platz zum Nachdenken, zum Beispiel über Anton Günther.

 

Sein Denkmal ist schon ganz verwittert, nur die Umrisse, ein ungefähres Profil des Dichterkopfes ahnt man.

 

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Kleiner Exkurs: Anton Günther lebte in Gottesgab im Erzgebirge, dem heutigen Božy Dar -  und machte Anfang des 20. Jahrhunderts eine Erfindung: die Liedpostkarte. Seine Heimatlieder auf Postkarten gedruckt, mit Noten, Text und Bild, verbreiteten sich im ganzen Erzgebirge und darüber hinaus. Er sang in Städten wie Berlin, Wien und Dresden; produzierte Grammophonplatten. So einige  Texte und Melodien hat er uns hinterlassen, über seine Heimat, die er so sehr liebte. Hier, in Gottesgab, wurde er 1876 geboren und da starb er auch, im Jahr 1937.

 

Erst zwölfjährig, in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, verlor er die Mutter, ging später nach Buchholz in eine Lehre als Lithograf und lebte danach einige Jahre in Prag. Im ersten Weltkrieg kämpfte er für Österreich-Ungarn (da Gottesgab im von Österreich-Ungarn regierten Böhmen lag) und wurde verletzt. Aus seiner Prager Zeit vor dem Krieg, in der er großes Heimweh hatte, stammen seine ersten eigenen Lieder. Darunter "Drham is drham". Mit seinen Heimatliedern war er erfolgreich und unterstützte seine Geschwister, um die er sich nach dem Tod des Vaters kümmern musste. Deshalb kam er wieder in seinen Heimatort Gottesgab zurück. Auch eine wohltätige Stiftung gründete er. Später heiratete er Marie, eine Zimmermannstochter und bekam mit ihr drei Kinder. 1937, gerade sechzigjährig, schied er freiwillig aus dem Leben. 

 

Seine Familie wurde wie andere Deutsche 1945 aus Gottesgab vertrieben, das nun endgültig Božy Dar wurde und heute wieder zu Tschechien gehört. Nach dem ersten Weltkrieg, als die Tschecheslovakei entstand, gehörte Gottesgab auch mit dazu. Die Minderheit der dort lebenden Sudetendeutschen, so auch Anton Günther, wurden durch Gesetze der tschechischen Regierung seit 1919 stark reglementiert. Es gab Enteignungen, Entlassungen, ein neues Sprachgesetz, Massenarbeitslosigkeit, wachsende Armut, kulturelle Unterdrückung der nichttschechischen Bevölkerung. Viele Sudetendeutsche verließen ihre alte Heimat.  Unter diesen Zuständen litt der heimatverbundene Dichter sehr. Unter diesen Bedingungen soll man seine Texte auch verstehen und ihnen keine großdeutsche Bedeutung unterstellen wollen. Wahrscheinlich auch ein auswegloses, inneres Dilemma des Dichters.

 

Die endgültige Vertreibung der Sudetendeutschen aus ihrer Heimat als Folge des zweiten Weltkrieges erlebte Anton Günther nicht mehr. Seine Familie, die Günthers aus Gottesgab, siedelten sich nach 1945 in Oberwiesenthal an.

 

Anton Günthers Lieder sind bis heute unvergessen. Seine tiefe Liebe zum Erzgebirge sagt uns auch heute noch, wie wichtig das ist: Wurzeln und Heimat zu haben. 

 

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Hier ist gerade niemand. Kein Mensch jedenfalls. Denn verschiedene Vögel, ich identifiziere Meisen, Amseln und eine Art Grünfink (?), lärmen gut gelaunt und voller Tatendrang herum. Sie spüren den Frühling, sie sind froh und lebendig dem Winter entkommen. Etwas Neues ist zu spüren und liegt vor ihnen. Und das reicht ihnen. Reicht auch uns.

 

Maulwürfe sind hier am Wirken, denn man sieht jede Menge ihrer kleinen Erdhügel. Wie meistens bleiben die flinken Untertagearbeiter selber unsichtbar, bis auf einen gewissen Spezialmaulwurf, wie Du gleich sehen wirst....

 

 

Ein herrlicher Platz  - und schon wieder Zeit - für ein Käffchen aus dem Rohr.

 

 

Bi gar weit in Land neigange,
wu de Menschen andersch sei,
doch ich bi ball wiederkomme,
när do drubn, do is mer fei.
  Wu de Wälder haamlich rauschen,
  wu de Haad su rötlich blüht,
  mit kann König mächt ich tauschen,
  weil do drum mei Haisel stieht!

 

Anton Günther (1905)

 

 

Bei uns ist es gerade kein Häusel, sondern diese Bank. Aber immerhin, sehr schön:

 

 

Wir verlassen die verlockende Sonnenbank, betreten wieder den Wald und folgen einem Pfad hin zum "Brückenfelsen".

 

 

Dann haben wir ihn erreicht und sind von der Aussicht und der Atmosphäre dieses Ortes begeistert. Sollte man aufsuchen, wenn nicht soviel Betrieb ist. Heute tauchen nach einiger Zeit nur zwei weitere Leute auf. Es ist schön. Allerdings auch nicht ganz ungefährlich, die Pfade sind abschüssig, aufpassen muss man und vorab die Wettersituation einschätzen. Gute Schuhe sind auch hier Pflicht - meine Meinung. Wer gerne klettert, kann das auch hier tun. 

 

 

Wir klettern nicht, sondern nehmen hier auf dieser Bank einen aussichtsreichen Schluck Kaffee aus dem Rohr und steigen dann talwärts, zum Wolkensteiner Floßplatz mit seiner alten Brücke. Unterwegs finden wir tatsachlich noch ein bisschen Schnee.

 

 

Im Café "Burgblick" in Wolkenstein-Schönbrunn füllen wir unsere Kaffeereserve auf und sitzen ein bisschen draußen vor dem Zughotel in der Sonne; genau wie ein paar Biker aus der Leipziger Gegend. Von hier aus hat man einen guten Blick auf Schloss Wolkenstein, fast gerüstfrei guckt es freundlich in neuer Schönheit ins Zschopautal hinunter.

 

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Und dann fahren wir heim, Bus 400 nimmt uns auf seiner Fahrt von Annaberg nach Dresden wieder mit nach Hause. Es gibt Tage, die werden genau so schön, wie man sie sich vorher ausgemalt hat.

 

Das war so einer.