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Früher war nicht alles besser....

... manches aber doch?

Madonna mit abgeschlagenem Kopf in der Straubinger Jesuitenkirche (November 2020, Foto: Ulli Scharrer, www.bistum-regensburg.de)
Madonna mit abgeschlagenem Kopf in der Straubinger Jesuitenkirche (November 2020, Foto: Ulli Scharrer, www.bistum-regensburg.de)

 

Menschen aller Zeitalter beklagten immer schon den Zustand der Welt.

 

Dass diese aus den Fugen geraten und die Menschheit verrückt geworden sei. Es scheint, es habe die "gute alte Zeit" nie gegeben. Zumindest dann nicht, als sie gerade Gegenwart war. Sie ist ein Konstrukt, dass wir selbst erfunden haben, um uns zu trösten und zu orientieren. Unsere Sehnsucht, dass es doch wieder besser werden könnte, weil es schließlich schon mal so gut war. Genau dieses Sehnen verleitet uns dann dazu, zu glauben, "dass früher alles besser war". Das steht so fest wie die Schlechtigkeit "der Jugend von heute", die die Alten schon seit Jahrtausenden beklagen.

 

Das stimmt so nicht.

 

Es gab zu allen Zeiten immer Gutes und Schlechtes, sicher ungleich verteilt. Harte Zeiten, wie man sie in Kriegen und den Aufbauphasen danach erlebte, während Diktaturen, Naturkatastrophen, Seuchen wie Pest und Cholera. In diesen Jahren war es viel schwerer zu überleben und dann dem Leben auch noch was Positives abzuringen. Im Vergleich dazu geht es uns hier und heute gut.

 

Auch persönlich hat jeder von uns schon schöne, weniger gute und vielleicht schlimme Zeiten gehabt. So mancher, auch ich, würde heute eher sagen: Es ging mir schon mal viel schlechter.

 

Das weiß ich alles. Darüber bin ich auch froh.

 

Trotzdem hege auch ich solche Gedanken an die durchgedrehte Welt der Gegenwart und sehne mich manchmal nach Verlorenem. Damit meine ich jetzt keine nostalgische Verklärung früherer Zeit, das ist nicht meins, denn es ist meistens nicht wirklich wahr.

 

Ich vermisse etwas, was ich "von früher" kenne: das Gelten bestimmter Grundwerte in der zivilisierten, demokratischen Gesellschaft. Das Schätzen von persönlicher Leistung, Bildung, Debattenkultur, Höflichkeit, Toleranz, Aufgeklärtheit und Wehrhaftigkeit. Die Wichtigkeit von persönlichen Zielen, Selbstdisziplin, auch Vorbildern.

 

Zumindest in Deutschland sind heute Unwissen, mangelnde Bildung, Leistungsverweigerung, Verantwortungslosigkeit, Unehrlichkeit, Intoleranz, Respektlosigkeit und die Unfähigkeit zur Selbstverteidigung akzeptierte Bestandteile in der Gesellschaft. Vorbei die Zeit, bevor man in ein Amt, eine Position kam und vorher beweisen musste, dass man dafür wahrscheinlich geeignet ist. Vorbei die Zeit, in der Skandale ihre Konsequenzen hatten. Vorbei auch, als es als tapfer und vorbildlich galt, Eigenes zu verteidigen.

 

Heute zählen oft nicht die eigene Leistung, sondern ganz andere Kriterien. Geschlecht, Hautfarbe und die politisch richtige Haltung ersetzen einen mühevollen Lebensweg, der einen doch erst zur Persönlichkeit reifen und Erfahrung sammeln lässt. Stattdessen sitzen heute beispielsweise im Bundestag viele Leute, die außer ihrer politisch korrekten Haltung und Parteizugehörigkeit, ihrem Geschlecht und ihrer einwandfreien moralischen Wertigkeit wenig für ihre verantwortungsvolle Aufgabe qualifiziert. Studienabbrecher oder Menschen ohne nennenswerte Berufserfahrung im realen Leben außerhalb der Politik, ohne ein Verwurzeltsein in ihrem Land. Und das merkt man auch ihrer Politik an. Und wie darüber berichtet wird. 

 

Klar gab es immer schon Parteienfilz, Korruption, Amtsmissbrauch, Abgehobenheit der Herrschenden. Heute kommt es mir aber so vor, als störe man sich überhaupt nicht mehr daran, so wenig wie an fehlender Fachkompetenz oder Integrität. Von mangelnder Identifikation mit der eigenen Nation ganz zu schweigen.

 

Es ist nicht der Rede wert, wenn Amtsinhaber*innen betrügen, lügen, versagen, Steuergelder versenken, ihre Heimat in den Dreck ziehen, verantwortungslos handeln - und hinterher nicht dazu stehen und sich ändern. Sicher hat fast jeder grundsätzlich eine zweite Chance verdient, nachdem er über sich nachgedacht und Konsequenzen gezogen hat. Aber was passiert, tut er es nicht?

 

Nichts.

 

Ich möchte, dass sich das wieder ändert.

 

***

 

Voltaire, der große französische Philosoph aus dem aufklärerischen 18. Jahrhundert sagte: "Eines Tages wird alles gut sein, das ist unsere Hoffnung. Heute ist alles in Ordnung, das ist unsere Illusion."

 

 

Philosoph und Dichter Francois-Marie Aouret de Voltaire (1694 - 1778), Gemälde von Maurice-Quentin de la Tour
Philosoph und Dichter Francois-Marie Aouret de Voltaire (1694 - 1778), Gemälde von Maurice-Quentin de la Tour