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Über Entscheidungen und Konsequenzen

Überlegungen aus den "Deutschen Wirtschaftsnachrichten"

www.twitter.com / @IrenaBuzarewicz
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Heute gibt es in unserer kleinen Freitags-Presseschau einen Artikel aus den "Deutschen Wirtschaftsnachrichten" der schwedischen Verlagsgruppe Bonnier für Dich, und zwar von Ende August 2020.

 

Es geht um die Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie, deren Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit, Vertretbarkeit. Wir alle haben uns mehr oder weniger in den letzten Monaten eine Meinung dazu gebildet. Aktuell sehen wir wieder höhere Infektionszahlen weltweit und befürchten stärkere Einschränkungen in der Gesellschaft. Zunehmend wird von fachlich kompetenter Seite Kritik an der bloßen Orientierung an den Infektionszahlen laut, die weitere Entwicklung dieser Debatte wird interessant.

 

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Herr Yilmaz, der den gleich folgenden Beitrag geschrieben hat, befasst sich darin mit dem Corona-Lockdown vom Frühjahr 2020 in Deutschland, seinen Konsequenzen und der Betrachtung der Entscheidung im Nachhinein. Ich sah diesen Beitrag auf dem Karrierenetzwerk XING und finde die Sichtweise des Kommentators lesenswert, auch wenn ich nicht jeden seiner Standpunkte teile. Wertung meinerseits lasse ich hier sein, lies selbst. 

 

Vorab nur soviel: Hinterher ist man immer schlauer. Und man kann zwar hinterher nichts mehr ändern, aber auch hinterher die richtigen Konsequenzen ziehen und eine sachliche Fehlerdiskussion führen und zulassen, um zu lernen und besser zu werden. Denn fast nichts ist wirklich "alternativlos". Man kann aber auch versuchen, alles unter den Teppich zu kehren.

 

Und nun der Artikel vom 20. August. Von den Vorgängen während der Demonstrationen in Berlin am 29./30. August konnte der Verfasser also noch nichts wissen. Genauso wenig von der aktuellen Entwicklung jetzt im Herbst.

 

 

 

www.deutsche-wirtschafts-nachrichten.de: Corona-Fehlalarm?

von Cüneyt Yilmaz / 20. 08. 2020

(https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/505909)

 

"Wenn sich der Verdacht erhärten sollte, dass der wirtschaftsschädliche Corona-Lockdown falsch gewesen ist, wird die Bundesregierung große Probleme bekommen. Es besteht nun die Gefahr, dass die Politik einen geschickten Kausalzusammenhang zwischen dem Virus und ethnischen „Minderheiten“ herstellt, um ihre Maßnahmen zu rechtfertigen. Die Mehrheitsbevölkerung könnte auf dieses Täuschungsmanöver anspringen.

 

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Was passiert eigentlich, wenn herauskommen sollte, dass die Entscheidung zur Verhängung eines Corona-Lockdowns möglicherweise falsch gewesen ist? Diese berechtigte Frage – durch die Öffentlichkeit stark diskreditiert aber im ganzen Land hörbar – muss nun gestellt werden.

Denn die Wahrheit ist, dass nicht nur „Corona-Leugner“, „Verschwörungstheoretiker“, „Rechtsradikale“, „Linksradikale“ und andere Gruppierungen an der Härte der Corona-Maßnahmen zweifeln, sondern auch viele Bürger und Unternehmer, die aufgrund des Lockdowns in existenzielle Not geraten sind. An der Tatsache, dass es das Corona-Virus gab und gibt, bestehen keine Zweifel. Lediglich die Schärfe der Maßnahmen wird von der Mehrheit der Bevölkerung in Frage gestellt.

Dabei hatten sich schon sehr früh Stimmen zu Wort gemeldet, die vor den Risiken des Lockdowns gewarnt hatten.

Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) hatte sich in einem Offenen Brief vom 1. Mai 2020 mit folgenden, ja nahezu flehenden Worten, an Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten gewandt: „In großer Sorge um die Zukunft dieses Landes und um den Wohlstand seiner Bürger appellieren wir an die Politik: Beenden Sie die einseitige Fixierung auf eine rein virologische Sichtweise und damit das gefährliche Spiel mit den Zukunftschancen dieses Landes. Es geht um das Schicksal des deutschen Mittelstands. Heben Sie den Lockdown auf, bevor es zu spät ist!“

Auch der Industrieverband BDI drängte auf einen klaren Exit-Plan. „Jede Woche eines Shutdowns kostet die deutsche Volkswirtschaft einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag an Wertschöpfung“, sagte BDI-Präsident Dieter Kempf im Mai 2020.

Der Corona-Lockdown war scheinbar derart zerstörerisch, dass sich auch der Präsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Schäuble, in einem Interview mit dem Tagesspiegel gegen den Lockdown aussprach. „Wir dürfen nicht allein den Virologen die Entscheidungen überlassen, sondern müssen auch die gewaltigen ökonomischen, sozialen, psychologischen und sonstigen Auswirkungen abwägen. Zwei Jahre lang einfach alles stillzulegen, auch das hätte fürchterliche Folgen (…) Der Staat muss für alle die bestmögliche gesundheitliche Versorgung gewährleisten. Aber Menschen werden weiter auch an Corona sterben“, so Schäuble.

Welcher Virologe hat Recht?

Dann gibt es noch das Problem mit der Deutungshoheit, um die sich die Virologen streiten. Der Virologe Hendrik Streeck kritisiert in einem Interview mit der Osnabrücker Zeitung den kompletten Lockdown und die daraus resultierenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen für Deutschland. Deutschland sei „zu schnell in den Lockdown gegangen“, da unter anderem „ein gewisser Druck in der Öffentlichkeit“ – er meint die Medien – vorherrschte.

Zur Maskenpflicht sagte er: „Am Anfang der Pandemie wurde ja dezidiert gewarnt vor Masken. Die Gründe dafür gelten immer noch, auch wenn sie merkwürdigerweise keine Rolle mehr zu spielen scheinen. Die Leute knüllen die Masken in die Hosentasche, fassen sie ständig an und schnallen sie sich zwei Wochen lang immer wieder vor den Mund, wahrscheinlich ungewaschen. Das ist ein wunderbarer Nährboden für Bakterien und Pilze.“

Der Virologe Christian Drosten veröffentlichte daraufhin eine Studie, die nachweisen sollte, dass die Todesfälle ohne den Lockdown weitaus höher ausgefallen wären. Und immer wieder meldeten sich Virologen zu Wort, die Drosten oder Streeck folgten.

Doch wem sollen wir denn nun glauben? Wenn es stimmt, was der eine sagt, dann ist der andere inkompetent. Wer ist denn aber der „eine“ und wer der „andere“?

Verwirrende internationale Studien

Wenn es schon um die Glaubwürdigkeit von Studien und Virologen geht, muss hier ein letztes Beispiel genannt werden. Im Juli 2020 wurde in Südkorea eine Corona-Studie veröffentlicht, die auch in der deutschen Presselandschaft die Runde machte. Der Studie zufolge können infizierte Kinder und Jugendliche im Alter von zehn bis 19 Jahre ihre Eltern und andere Haushaltsmitglieder häufiger mit Corona anstecken als Erwachsene. Doch die Forscher haben ihre Befunde mittlerweile revidiert. Sie meinen nun: Es sei nicht wirklich klar, wer wen infiziert hat. Die Studie wurde im Fachmagazin des „Centers for Disease Control and Prevention (CDC) veröffentlicht.

Der medizinische Befund, dass sich Corona-Infizierte nach der Infektion direkt nochmal infizieren können, ist ebenfalls falsch, berichtet Sky News. Doch auch dieser falsche Befund hatte in den deutschen Medien die Runde gemacht, was die Massenhysterie nur noch verstärkte.

Besonders beschämend ist, dass Berichte und Dokumentationen produziert wurden, die die Pest und die Cholera in einem Atemzug mit dem Corona-Virus nannten. Ein renommiertes deutsches Wissenschafts-Magazin führte aus: „Masken, Verbote und wilde Theorien: Wo Pest und Corona Parallelen haben. Viele Dinge, die wir in der Corona-Krise erleben, gab es bereits in früheren Jahrhunderten - als die Pest ganz Europa verheerte.“

Überall kursierten Berichte, die entweder eine Parallele zur Spanischen Grippe oder zur Pest zogen. Es dürfte auf der Hand liegen, dass durch diese Panikmache ganze Bevölkerungsteile traumatisiert wurden.

Was passiert denn nun mit der Regierung?

Doch zurück zur Ausgangsfrage, ob die Bundesregierung stürzen könnte, wenn rauskommen sollte, dass der Lockdown falsch gewesen ist.

Wenn dem so sein sollte, würde sich nicht nur die Opposition auf die Bundesregierung einschießen, um politischen Profit zu erzielen, sondern es würde auch innerhalb der Großen Koalition zu enormen Spannungen kommen – vor allem innerparteilich. Die parteiinternen Gegner der Kanzlerin würden diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen, um Merkels politisches Schicksal endgültig zu besiegeln. Ihre politischen Gegner würden dabei nicht vom Geiste der Gerechtigkeit oder der Liebe zum eigenen Land getrieben sein. Auch das muss fairerweise erwähnt werden.

Dabei liegen schon jetzt zahlreiche Faktoren vor, die die Bundesregierung alsbald in Schwierigkeiten bringen könnten. In den kommenden Monaten, aber eher im kommenden Jahr, wird Deutschland mit einer Insolvenzwelle konfrontiert werden, die nicht nur zu einem drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit führen wird. In der Folge werden auch die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen zunehmen.

Die einzige Möglichkeit, die der Politik noch bleibt, ist, einen Kausalzusammenhang zwischen hohen Infektionszahlen und gesellschaftlichen Minderheiten (psychologisches Codewort: „Großfamilien“) herzustellen, um die Mehrheitsbevölkerung für weitere Maßnahmen und einen optionalen zweiten Lockdown zu gewinnen. In das kollektive Gedächtnis der Bevölkerung ließe sich somit die Erzählung einpflanzen, dass „eine ganz bestimmte Minderheit“ die Schuld an der Verbreitung der Seuche trägt – diesmal ist nicht die Pest („Schwarzer Tod“ und die „Sündenbock-Theorie“), sondern natürlich das Corona-Virus gemeint. Diffamierende Themen über gesellschaftliche Gruppen jeglicher Couleur lieben die selbst ernannten „liberalen“ und „demokratischen“ Medien, was sie vor allem im Jahr 2011 - und darüber hinaus - bewiesen haben.

Diese Taktik, die zur Destabilisierung des Landes führt, wurde auch in den vergangenen Jahrzehnten oftmals angewandt, um kritische Gesetzesinitiativen zum Nachteil aller Bürger durchzupauken. Sie war sehr erfolgreich, weil Instinkte innerhalb der Bevölkerung angesprochen wurden, die den partikularen Interessen von Politikern sehr dienlich sind. Nur wenigen Politikern dürfte es um das gesellschaftliche und staatliche Wohl gehen, zumal vielen von ihnen der Patriotismus im positiven Sinne (!) abhanden gekommen ist. Insbesondere bei jenen „Schauspielern“, die den Patriotismus verklären, um Menschenfeindlichkeit zu säen.

Hier sollten Politiker, die nicht selten ausschließlich auf die „Diäten“ erpicht sind, nicht mit gewissenhaft arbeitenden Staatsbeamten der Sicherheisbehörden oder anderer staatlicher Behörden gleichgesetzt werden. Es sind dieselben Politiker - aber leider auch Medien -, die wahlweise Stimmung gegen „Minderheiten“ betreiben und nahezu zeitgleich ihren eigenen Sicherheitsbehörden immer wieder in den Rücken fallen - ohne sich zu schämen.

Mit einer scharfen Kritik an den Anti-Rassismus-Massendemos, an denen zahlreiche Menschen teilnahmen, ohne die Corona-Regeln zu beachten, wird sich der Großteil der Politik auch weiterhin zurückhalten. Diese Massendemos wird die Politik garantiert nicht als Hauptquelle hoher Infektionszahlen nennen.

Schließlich kann man nicht seine eigenen potenziellen Wähler attackieren.

Das Wahljahr 2021 steht vor der Tür.

Nichts stimmt mehr."

 

 Cüneyt Yilmaz ist Absolvent der oberfränkischen Universität Bayreuth. Er lebt und arbeitet in Berlin.

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