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Hervorgeholt: Der Ernst des Lebens

Kurzbiografie von Ernst

oder "Auch Ihnen wird das Lachen schon noch vergehen"

Das Leben hat nicht nur Schattenseiten, sondern auch Nachteile. So ernst. (www.twitter.com / @IrenaBuzarewicz)
Das Leben hat nicht nur Schattenseiten, sondern auch Nachteile. So ernst. (www.twitter.com / @IrenaBuzarewicz)

 

Vor über einem Jahr, am 13. Mai 2019,  ging es hier in der Täterwerkstatt um DEN Ernst. Den Ernst des Lebens. Da sich unser Leben gerade scheinbar immer mehr zum Ernst-Haften verändert, habe ich für Dich diesen Artikel rausgekramt - damit wir nicht vergessen: Gib Ernst keine Chance! Niemals. Gemeint ist natürlich nur DER Ernst, alle anderen Ernste der Welt sollen nicht nur ernst genommen werden, sondern auch ihre Chancen kriegen.

 

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Ich weiß gar nicht mehr genau, wann er mir das erste Mal angekündigt wurde. Der Ernst.

 

Schon als jüngeres Kind hörte ich etwas vom "Ernst des Lebens" und von einer Verschlechterung der Lebensumstände, die wahrscheinlich mit seinem Eintreffen einhergehen würde.

 

Seine Erwähnung einige Zeit vor meinem ersten Schultag verursachte nur kurz ein ungutes Gefühl bei mir. Weiter darüber nachgedacht oder gar vor Ernst gefürchtet habe ich mich nicht. Dafür war er zu unkonkret. Im Gegensatz zu Hexen zum Beispiel, vor denen ich großen Respekt und genaue Vorstellungen hatte (Frau Kümmel).  

 

Später erinnere ich mich an Ansprachen des Lehrpersonals in der Schule: "Und dann beginnt der Ernst des Lebens." oder "Auch Ihnen wird das Lachen schon noch vergehen.". Nach einleitenden Bemerkungen "Wenn Sie später ins Leben hinaus treten...." kam er oft vor. Übrigens hörte sich das Ins-Leben-hinaus-Treten so an, als ob man ein geschütztes, kuscheliges Nest für immer verlassen und sich in Sturm, Regen, Blitz und Donner mit Feinden herumschlagen und unter gefährlichsten Bedingungen seine Beute erjagen sollte. Zumindest das war ja nicht übertrieben. 

 

Vorgetragen wurde so etwas immer mit einer Mischung aus Mitleid und Schadenfreude. Warum, so dachte sich der ernsthafte, sorgenbeladene und gramgebeugte Lehrer, sollte es seinen Schülern denn mal besser gehen als ihm ?

 

Einerseits gönnte er uns wahrscheinlich sogar unbeschwerte Jugendzeit und zwanglose Freude. Andererseits wurmten ihn sicher oft fehlender Respekt und eben -  mangelnde Ernsthaftigkeit. Sicher befürchtete er für einige von uns das Schlimmste und wollte es wenigstens versucht haben, etwas dagegen zu tun und uns auf den richtigen Lebensweg zu geleiten.

 

Je älter wir wurden, desto mehr war die Rede von Ernst. Er sollte uns ganz sicher nach dem Abschluss der Schule erwarten. Spätestens mit dem Eintritt ins Arbeitsleben aber. Und wer dann immer noch lachte, würde sich nach der Gründung einer eigenen Familie unbedingt mit ihm konfrontiert sehen. Wäre Ernst dann einmal da, würde er nie wieder von uns gehn.

 

Ich beschloss, diesem Typen keine Chance zu geben und mich den Kämpfen des Lebens ohne ihn zu stellen, komme was wolle.

 

Im Lauf der Zeit hatte ich wie wir alle Schlachten zu schlagen und Prüfungen zu bestehen. Dabei kam es zu manchem Sieg, aber auch zu schwerer Blessur. Zu Fehlern, die ich scheinbar immer wieder mache und zu Fehlern, aus denen ich etwas gelernt habe. Zum Beispiel, dass bestimmte Eigenschaften wie Selbstdisziplin, strukturiertes Denken und gute Organisation für mich wichtig sind.

 

Ich habe nicht immer gelacht, es aber auch nicht verlernt. Glücklicherweise ist es mir gelungen, immer wieder aufzustehen und neu anzutreten. Manchmal war die Lage hoffnungslos, aber nie ernst.

 

Möglicherweise werde ich dem Ernst später aber doch noch begegnen. Wenn ich eines Tages uralt im Sessel sitze, klingelt es plötzlich an der Wohnungstür. Mein Urenkelkind rennt dann zur Tür und öffnet. Dann ruft es: "Omi, hier draußen steht ein komischer Mann! Er sagt, er heißt Ernst und will zu Dir."

 

Weil ich dann sicher nicht mehr so gut wegrennen kann, werde ich versuchen, mich in meinem Sessel unsichtbar zu machen. Damit er mich nicht findet. Im Unsichtbarmachen war ich noch nie gut, deshalb bemerkt er mich wahrscheinlich doch. Und was dann ?

 

Es sei denn, mein Urenkel lässt ihn nicht rein und sagt nur: "Wir kennen hier keinen Ernst." Und schließt die Tür fest zu.

 

Diese Hoffnung bleibt allemal, ernsthaft, oder ?

 

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Der Maulwurf ist froh, dass er Pawel heißt (und nicht Ernst).