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Mensch und Maulwurf: ein Dialog (12)

Heute: Heimat

 

An einem der ersten schönen Nebeltage in diesem Herbst waren wir am Pöhlberg. Danach, wieder zu Hause angekommen, richten wir im Wohnzimmer eine kleine Herbstdeko mit Kerzen und Zierkürbissen her. Ein großer Asternstrauß steht auf dem Esstisch. Dieser ganz typische Astern- und Crysanthemenduft - herbsüß, schön.

 

Der Maulwurf rollt eine frische Kastanie herbei. Dabei summt und singt er. Ich höre genauer hin. Ja, tatsächlich - das Steigerlied.

 

Ich hole Kaffee, dann unterhalten wir uns beim Dekorieren. Draußen dämmert es schon. Wir haben die kleinen Lampen in den Fenstern eingeschaltet. Teelichter mit Orangenduft brennen. Kaffee duftet. Eine dicke Puddingschnecke von gestern muss dringend weg....

 

Heimat
Heimat

 

Yvonne: "Oh, das Steigerlied, wie schön...."

Maulwurf (stolz): "Ja, ich als Erzgebirgler und im Bergbau Tätiger hab ja gleich doppelten Grund, es zu singen. Bis zur letzten Strophe, die Freiberger Fassung natürlich":

 

Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt,

|: und er hat sein helles Licht in der Nacht :|
|: schon angezünd't:|

 

Hat’s angezünd’t, das gibt ein’ Schein,
|: und damit so fahren wir bei der Nacht :|
|: ins Bergwerk ein :|

Ins Bergwerk ein, wo die Bergleut sein,
|: die da graben das Silber und das Gold bei der Nacht :|
|: aus Felsgestein :|

Aus Felsgestein graben sie das Gold,
|: und dem schwarzbraunen Mägdelein, bei der Nacht :|
|: dem sein sie hold :|

Und kehr ich heim zu dem Mägdelein,
|: dann erschallt des Bergmanns Gruß bei der Nacht :|
|: Glückauf, Glückauf! :|

 

Yvonne: "Das stimmt. Ich hör es auch gerne. Es ist.....Heimat. Ein Stück."

Maulwurf (hat eine Idee, neugierig:) "Los, spucks aus. Was fällt Dir beim Wort 'Heimat' noch ein? Aber nicht erst überlegen, einfach raushaun." (beruhigend) "Wir sind ja unter uns."

Yvonne: "Ok.....Das Quietschen der Straßenbahnen auf ihren Schienen, was ich nachts im Bett gehört habe als Kind, die Spaziergänge und Besorgungswege mit den Großeltern durch die große Stadt, der Duft der Pelargonien auf dem Balkon im Sommer. Hagebuttentee, Kümmelknackwurst, Rührkuchen. Der Geruch des Fixiermittels, mit dem mein Opa arbeitete.  Das knallgrüne Latschenkiefernschaumbad. Das alte Gemäuer und die gestrichene Holztreppe in unserem späteren Wohnhaus, die Schritte der Mutter im Treppenhaus, die bekannten Straßen und Wege der neuen Stadt, die beste Freundin in der Schule, Angst vorm abendlichen Alleinsein, die Hexe Frau Kümmel, die Stimmen der Eltern, die Motorengeräusche unseres ersten Autos, die Landschaft des Tharandter Waldes, das Essen der Großmütter und die Einweckgläser im Keller, die ersten Lieblingsbücher, der Familienhund, erste Lieblingsmusik, der Schulweg, die Halde um Herders Ruhe. Große Liebe, mein eigenes Kind: wie sich ein Baby anfühlt, wie es mich verändert hat. Der Duft nach Milch, Vanille und Creme. Das absolute Glücksgefühl durch so ein kleines neues Lebewesen...... Meine liebsten Arbeitsorte, ein gewisser Löschwassereingang, Maschinengeräusche, Gerüche von Schmiermitteln, Waschbenzin, heißem Stahl, Hackepeter mit Zwiebeln ......sowas halt. Großes und Kleines durcheinander."

Maulwurf: "Eine ganze Menge ist das schon." (dann erstaunt): "Deine Lieblingsmusik als Kind war nicht das Steigerlied?"

Yvonne: "Nee, das kannte ich da noch gar nicht..... mein absolutes Lieblingslied als Kindergartenkind war von Rex Gildo "Marie, der letzte Tanz ist nur für Dich". Kann ich heute noch mitsingen."

Maulwurf: "Oh...."

Yvonne: "Ja, ich bin dann halt so der weniger traditionell Heimatliebende.... Aber Du gleichst das ja wieder aus, so als Oberbergmaulwurf. Und eh Du fragst: ich kann auch nicht klöppeln oder schnitzen."

Maulwurf: "Das dachte ich mir schon. Aber was bedeutet Heimat jetzt insgesamt, für Dich?"

Yvonne: "Das, wo man dazugehört. Wo man sich sicher fühlt oder das zumindest erst mal annimmt. Wo man es schön findet. Wo jeder seine Wurzeln hat und später auch neue entstehen. Die Familie, der Partner, das eigene Kind, Freunde, Kollegen. Die Orte, wo man lebt, arbeitet, gerne ist. Erinnerungen, gute und schlechte. Geräusche, Gerüche. Da finde ich Traditionen dann schon wichtig, auch wenn einem nicht immer alles gefallen kann. Und sich auch mal was ändert, freudig oder schmerzhaft. Man kann und muss manchmal auch neue Heimat finden. In anderen Menschen, neuen Wohnorten, einer anderen Lebenseinstellung, einer neuen Aufgabe."

Maulwurf: "Hhmmm..... Ich hab meine Wurzeln jedenfalls am Fuße des Erzgebirges. Und auf dem Pöhlberg. Und am Maltersee. Und auf dem Sofa, an meinem Lieblingsplatz. Daran soll sich bitte nichts ändern, da bin ich eher konservativ."

 

 ***

Pawel zu Hause
Pawel zu Hause

 

Yvonne: "Da stimme ich Dir voll zu, ich auch! Und wenn sich mal was ändern sollte oder wir was Neues machen wollen, dann schaffen wir das gemeinsam. Manchmal, wenn ich irgendwo unterwegs bin, dann stelle ich mir vor, dort zu wohnen."

Maulwurf: "Ja, da könnte so manches auch schön sein. Aber eine Bedingung müsste erfüllt sein, sonst werde ich da garantiert nicht froh....."

Yvonne: "Sag schon, was ist Dir so wichtig?"

Maulwurf (schluckt traurig): "Berge......! Ich will kein Flachland und keinen Sandboden und keinen Kiefernwald. Gegen Umzug an die Küste protestiere ich auf das Heftigste.....

Yvonne: "Beruhige Dich doch. Ich will auch nicht in den Norden ziehen,  brauch selber bissel Gebirge um mich herum. Verstehe Dich also. " (schenkt Kaffee nach)

Maulwurf (seufzt): "Die kann ganz schön weh tun, die Heimat."

Yvonne (schiebt die Puddingschnecke über den Tisch): "Hier, iss erstmal. Dann gehts Dir gleich besser."

Maulwurf: "Danke, die sieht lecker aus, or, der dicke Puderzucker..... (beißt hinein)

Yvonne: "Wo würdest Du denn gerne wohnen außer dort, wo Du jetzt bist?"

Maulwurf (kaut Schneckenstreusel): "Waff? .....Warte mal......so, jetzt. Ganz weit oben im Erzgebirge, in Schwarzenberg vielleicht?"

Yvonne: "Ja, da ist es sehr schön. Oder am Bodensee......Berge und viel Wasser. Ein Traum."

Maulwurf: "Da warn wir schon, ja, das war toll. Hohe Berge und der Riesensee. Und das schöne Konstanz, diese alten Gassen..... Und wo würdest Du keinesfalls wohnen wollen?"

Yvonne: "In Berlin."

Maulwurf: "Weil da keine Berge sind?"

Yvonne: "Deswegen auch......"

Maulwurf: "Altes Sachsen-Preußen-Ressentiment?"

Yvonne: "Vielleicht."

Maulwurf: "Was kramst Du denn in Deinem Handy rum?"

Yvonne: "Ich hab da ein persönliches "Heimatlied", womit ich viel verbinde. Aber nicht über die Bergleute und auch nicht von Rex Gildo. Interessiert Dich das trotzdem? Diese Musik ist auch gut gegen sentimentale Heimat-Anfälle...."

Maulwurf (rollt die Augen): "Klar, lass hören. Wahrscheinlich garantiert folklorefrei." (grinst nun wieder und lauscht gespannt.)

 

 ***

 

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