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Tödliche Liebe - Teil 2: Teuflischer Zauber

"Der Teufel holt einen verliebten Cleriker zu Freiberg" - Wie es ihm erging

Heute wollen wir erfahren, wie es mit Roland weiter geht. Hast Du den ersten Teil noch nicht gelesen, findest Du den ganz schnell hinter dem Button hier. Ansonsten fahre fort.

Wir hatten Roland am Fluß Mulde verlassen. Dorthin war er gegangen, um zur Ruhe zu kommen und seine Gedanken zu ordnen. Sosehr ihn die rothaarige Kuchenverkäuferin anfangs durcheinander gebracht hatte, so gefasst war er jetzt. Und er hatte auch schon einen Plan, wie er die Gunst des Mädchens erringen würde.

 

Zuerst musste er mehr über sie erfahren. Stundenlang trieb er sich nun auf dem unteren Markt herum, beobachtete das Mädchen und ihren blaubeplanten Verkaufswagen. Er kriegte heraus, dass sie Gundula hieß und mit ihrem Wagen aus einem Dorf in der Nähe zweimal die Woche auf den Markt hier kam. Gundel, wie sie von den anderen Martkweibern genannt wurde, vertrat ihre Großmutter, die seit einiger Zeit krank war. Eine harmlose Wunde an deren Fuß hatte sich entzündet und wollte nicht heilen. Gundel freute sich, die Arbeit hier in Freiberg zu übernehmen. Erstens kam sie gerne mit anderen Leuten zusammen und unterhielt sich mit ihnen. Zweitens war sie der Fuchtel der Mutter entkommen. Und drittens liebte sie ihre Großmutter und freute sich, ihr helfen zu können.

 

Wen sie aber noch liebte, das war Matthias, der Dorfvorsteher des kleinen Ortes muldenabwärts, wo Gundel wohnte. Auch der hatte schon mehr als ein Auge auf Gundel geworfen, sie waren sich bereits einig. Zu Weihnachten sollte die Hochzeit sein. Gundel freute sich auf ihr neues Leben mit Matthias. Den mageren Studenten, der hier ab und zu über den Markt ging und sie mit brennenden Augen musterte, bemerkte sie nicht einmal.

 

***

 

Aber Roland gab nicht auf. Er beobachtete, dachte nach, schmiedete Pläne, sprach sich selbst Mut zu. Immerzu erfand er Ausreden für Gundel, warum sie sich nicht um ihn scherte. Entweder hatte sie ihn nicht gesehn oder war zu beschäftigt. Sie hatte schlecht geschlafen, war erkältet oder hatte Kopfschmerzen - so glaubte Roland. Auf die Idee, dass sie einfach nichts von ihm wissen wollte und schon lange einen anderen hatte - auf diesen doch so einfachen Gedanken kam der verliebte Schüler nicht. Nicht mal, nachdem er sie direkt angesprochen hatte. Und so ging das den ganzen Herbst. 

 

Bei Roland machten sich Zermürbungserscheinungen bemerkbar. Er vernachlässigte seine Studien, malte nicht mehr, das Herbarium lag unbeachtet und verstaubt herum. Freudlos war Roland. Zuwenig aß der junge Mann, dafür trank er umso mehr Bier, Wein und Branntwein. Er war ständig angespannt, manchmal euphorisch, wenn Gundel ihm zugelächelt hatte auf dem Markt. Dann wieder todunglücklich, wenn er ahnte, das er ihre Liebe nie würde erringen können. Seine Studienkollegen und auch die Lehrer waren ihm wohlgesonnen und ließen ihm so manche Launenhaftigkeit und Schlamperei durchgehen.

 

Aber Lothar, Rolands bester Freund, hielt es eines Tages nicht mehr aus. Er stellt Roland zur Rede, erklärte ihm die Sinnlosigkeit seines Tuns und die Vergeblichkeit der Hoffnung. Lothar versuchte, seinen Freund zurück ins Leben zu locken. Hinein in die schönen Wintertage, an den Krapfenstand und an die Verkaufsstände der Spielzeugmacher. Alles war vergebens. Lothar war betrübt, seinen Freund so unglücklich und auf steilem Weg bergab zu sehen. Das mit der Trinkerei würde nicht mehr lange gut gehn, dann würde er aus der Schule fliegen und hätte sich seine Zukunft versaut. Außerdem geriet Roland jetzt öfter in Raufereien mit seinen Saufkumpanen hinein, die schnell gefährlich werden konnten. Ungute Lage also.

 

Dunkelheit war in Roland. Schwärze, Einsamkeit, Verzweiflung, Angst. Ohne Gundula schien ihm sein Leben nicht mehr lebenswert.

 

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 www.pixabay.com / Free-Photos
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Einer seiner Zechgesellen, ein gewisser Urs, sagte eines Abends, als Roland wieder über sein Unglück jammerte: "Ich weiß, wer Dir vielleicht helfen kann." Roland blickte Urs mißtrauisch an. Wollte der ihn reinlegen ? Aber erstens war Urs ein guter Kerl. Und zweitens war Roland egal, an welchem Strohhalm er sich festhielt. Hauptsache, der rumorende Schmerz würde ihn endlich verlassen und er könnte mit Gundel zusammen sein. Urs beschrieb ihm, wie er zu einer bestimmten Adresse gelangen könnte. Am Rande der Stadt, wo die Wiesen und Weiden begannen und der Goldbach floss, da stand ein kleines graues Haus. Unscheinbar, aber mit roten Fensterläden aus Holz, die schon von weither leuchteten. Also nicht zu verfehlen. In diesem Haus nun wohnte ein Mann, der ein Hexer sein sollte. Groß, grauhaarig, mit hellen Katzenaugen erschien er anderen Menschen fremd und geheimnisvoll. Er hatte angeblich Zauberkräfte.

 

Drei Tage vor Weihnachten ging Roland zu diesem Hexer. Der hörte sich seine Geschichte an und sprach: "Komm morgen kurz vor Mitternacht wieder. Dann werden wir sehen.". Gesagt, getan. Roland tat, wie ihm aufgetragen. Am nächsten Tag stand er wieder in des Hexers Haus. Dieser hatte im größten Raum des Hauses, einer Art Waschküche mit dicken Mauern und kleinen halbkreisförmigen Fenstern, mit Kreide einen Kreis auf den Boden gemalt. Auf des Kreises Linie standen Kerzen, um ihn zusätzlich zu markieren. "Steig hinein." sprach der Hexer zu Roland und wies auf den Kreis. Roland hatte sich längst abgewöhnt, Fragen zu stellen. Er machte es einfach und betrat den Kreis. "Gib acht", sprach der Hexer. "Egal was passiert, Du darfst den Kreis nicht verlassen. NIEMALS. Hast Du das verstanden?" Roland nickte. "Gut." sagte der Hexer. Dann schürte er das Feuer, das im Kamin entzündet worden war, stellte sich vor die lodernden Flammen und sprach einige laute Sätze in einer Sprache, die Roland nicht verstand.

 

Konnte er auch nicht, zwar war es lateinisch - allerdings rückwärts -.

 

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www.pixabay.com / Kalhh
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Kurze Zeit darauf, Roland starrte gespannt in den Raum, sah man einen Schatten an der Wand. Er wurde größer, trat dann aus dem Mauerwerk heraus in den Raum hinein. Roland erstarrte. Es war Gundel! In einem roten Kleid, so schön sah sie aus, im Feuerschein. Das funkelnde Haar geflochten und aufgesteckt. In den Flechten steckten einige weiße Blüten der winterlichen Christrosen.

 

Gundel war blass, lächelte aber freundlich und trat auf Roland zu. In den Kreis kam sie nicht, sie schien davor leicht zurückzuweichen. Roland dachte, sie hätte vielleicht vor den vielen Kerzen am Boden Angst. Er war völlig außer sich vor Glück und lächelte: "Gundel, dass Du endlich da bist ! Sag mir, magst Du mich ein wenig und würdest mit mir zu Weihnachten in die Christmesse gehen?" Gundel lächelte wieder und nickte leicht. "Oh, das ist soooo schön. Ich danke Dir, Du Liebe. Darf ich Dir einen Kuss geben ?" Und wieder nickte sie und lächelte süß.

 

Und dann geschah es.

 

Bevor der Hexer es verhindern konnte, hatte Roland die Kreislinie überschritten und eilte auf Gundel zu. Er nahm sie in die Arme, schloss die Augen und küsste sie auf den Mund ! Dann hörte er es laut krachen, Feuer, Funken stoben, irgendetwas splitterte, Rauch wallte auf. Er spürte nur noch, wie Gundel ihn mit einer immensen Kraft von sich schleuderte, so dass er mit voller Wucht gegen die Wand prallte, wieder unten aufschlug und liegenblieb. Der Hexer, der in eine Ecke geschleudert wurde, wo er sich unter einem Tisch versteckte und zu schützen suchte, sah dann noch etwas durch den Rauch. Gundel verwandelte sich in einen übermannsgroßen schwarzen, haarigen Teufel. Der schmiss noch ein paar Möbel herum. Lachte bösartig, als er sich ein paar Christrosen aus dem Haupthaar zupfte und dann das ganze Haus abfackelte. Was für ein Mistkerl.

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www.pixabay.com / Capri23Auto
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Als Roland zu sich kam, glaubte er, schon gestorben zu sein. Denn er lag auf dem Bett, auf seinem Bett, zu Hause, am geöffneten Fenster. Draußen war Frühling. Er hörte den Fluss rauschen. Amseln sangen. Irgendjemand hantierte mit dem Butterfass. Es klang wie bei seiner......"Mutter - ", rief Roland und saß aufgerichtet da. Diese stürzte ins Zimmer herein und nahm ihren Sohn in die Arme. Tränen liefen ihr übers Gesicht, sie lachte - hatte sie doch fast nicht mehr geglaubt, dass Roland wieder gesund, wieder wach werden würde. Und nun war es doch geschehen. Sie hielt ihn ganz fest und küsste ihn fassungslos immer wieder. 

 

Dann erzählte sie ihm, was passiert war, nachdem er beim Hexer aus dem Bannkreis getreten war.

 

***

 

Einige nächtliche Hirten auf den Weiden vor der Stadt hatten das brennende Haus bemerkt. Beherzt waren sie hineingegangen und hatten den Hexer und Roland retten können. Eine große schwarze Katze aber mit roten Augen war kreischend ins Feuer gesprungen und sofort verschwunden. Der Hexer erholte sich nicht von seinen Verletzungen. Am folgenden Tag starb er unter großen Schmerzen.

 

Aber Roland hatte Glück gehabt. Jemand der Helfer hatte den Schüler erkannt und veranlasst, dass er zu seinen Eltern in sein Heimatdorf gebracht würde. Der Ärmste hatte überall Schürfwunden und Prellungen und dazu noch ein gebrochenes Bein.

 

Das Schlimmste aber war der scheinbar leblose, schlafähnliche Zustand des Jungen.

 

Viele Nächte saß seine Mutter am Bett, erzählte ihm Geschichten von früher und weinte auch. Weihnachten war vorbei, der Winter brach herein, das Fischerhaus lag tief verschneit. Der Vater saß am Kamin, rauchte Pfeife, flickte Netze und versuchte, seinen eigenen Schmerz über den kranken Sohn nicht zu zeigen. Ab und zu brummte er und schüttelte den Kopf. Der Winter verging, der Frühling begann. Der Fluss schwoll an. Der Vater reparierte die Kähne und setzte die Fischbecken instand. Eines Tages fuhr er wieder zum Fischfang auf den Fluss raus. Auf dem Heimweg brachte er seiner Frau ein paar gelbe Huflattichblüten mit, die er am Ufer gefunden hatte. Die Weidenbäume hatten Kätzchen, die Wiesen waren schon hellgrün. Einzelne Blumen blühten. Und der alte Kirschbaum vor Rolands Fenster auch.

 

Und nun war der Sohn endlich erwacht und wieder fast gesund. Was für ein Glück ! Die Eltern waren froh. Roland auch.

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www.pixabay.com / Hans 22827
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Nach einigen Tagen nahm ihn die Mutter beiseite, um Roland etwas Wichtiges mitzuteilen. Sie sprach: "Mein Junge, man kann die Liebe nicht zwingen. Nicht zum Kommen, nicht zum Bleiben, nicht zum Gehen. Man kann nur selber lernen, dass es immer auch neue Wege, andere Menschen im Leben geben wird, viele Möglichkeiten. Die Welt geht nicht unter, weil Gundel Dich nicht liebt. Auch, wenn es sich für eine Zeit so anfühlt."

 

Rolands Augen füllten sich mit Tränen, er weinte. Die Mutter tröstete ihn. Aber tief in sich fühlte er sich nun erlöst, frei. Zwar war er noch traurig, aber es war auch, als ob eine Riesenlast von ihm abgefallen war. 

 

Die Mutter lächelte und strich sich die Haare glatt. Der Sohn war ins Leben zurückgekehrt. Wie sie selber auch, vor langer Zeit. Er konnte nicht wissen, wie sehr sie seinen Schmerz verstand. Das war jetzt aber auch nicht mehr so wichtig, denn: es war vorbei.

 

Und das Leben lag ja vor ihnen. Es war schließlich Frühling.

 

 

*** ENDE ***

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In der Originalsage, überliefert von Herrn Grässe,  überlebt der junge geistliche Schüler das Hexenmeisterkunststück nicht. In dieser Variation hier aber nimmt alles ein gutes Ende. Es könnte ja auch so gewesen sein, genau wissen wir es nicht.

 

Der Maulwurf ist mit dem genesenden Roland äußerst zufrieden. Ich auch. Es wäre doch auch zu dumm, an gebrochenem Herzen zu sterben. Soll er lieber leben!