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Mein Leipzig lob' ich mir (1)

Wie ich mal fast reich geworden wäre

Am Neuen Rathaus
Am Neuen Rathaus

 

Diese Geschichte führt uns gemeinsam nach Leipzig, meine alte Heimat.

 

Genauer gesagt, in das Musikviertel. Das liegt im Zentrum-Süd, zwischen Clara-Zetkin-Park, Scheibenholz-Rennbahn, Johanna-Park und Karl-Tauchnitz-Straße. Ein kleines feines Viertel hinter dem Bundesverwaltungsgericht, dem ehemaligen, 1895 eingeweihten Reichsgericht.

 

Bei diesem Namen denken wir an Herrn Dimitroff, der hier 1933 gemeinsam mit Marinus van der Lubbe und drei Kommunisten im Reichstagsbrandprozess angeklagt wurde. Herr van der Lubbe wurde zum Tode verurteilt, die vier Mitangeklagten wurden freigesprochen.

 

Nach 1945 wurde das schöne Gebäude als Museum genutzt, ich war mehrfach dort. Es ist beeindruckend in seiner Weitläufigkeit und Großzügigkeit. Ein Machtgebäude, eindeutig. Aber darum soll es heute gar nicht gehen. Sondern, was in der Nähe des Gebäudes so ist. Und was ich dort eines Tages zu finden meinte. Im Musikviertel.

 

 

Kleiner Eindruck gefällig ?

 

 

Dieses Viertel wurde als Wohnviertel für wohlhabende und reiche Leipziger Bürger gebaut. Für Fabrikanten, Verleger, erfolgreiche Künstler, Juristen, Ingenieure, Ärzte.  Im 19. Jahrhundert, als Leipzig die reichste deutsche Stadt war. Industrie und Kultur blühten hier, es gab die berühmte Leipziger Messe. Musikviertel wurde es genannt, weil hier auch ein Konzerthaus und ein Königliches Konservatorium gebaut wurden. Vielfältige Villen in verschiedenen Baustilen, je nach Geschmack der Erbauer und Besitzer, säumen auch heute noch die Straßen und ruhigen Alleen. Es sind wirkliche Traumhäuser darunter. Großzügig, selbstbewusst, schön, exklusiv. Selbst in bedenklichem Bauzustand noch eine Augenweide und der Instandsetzung dringend würdig.

 

In meiner Kinderzeit waren diese Villen teilweise bewohnt. Andere gab es, wo eine Musikschule eingezogen war. Mehrere Verwaltungen von Betrieben und Behörden der Stadt Leipzig saßen in diesen schönen, aber auch teilweise sehr heruntergekommenen Häusern. Oder ein Kindergarten. Oder medizinische Einrichtungen. Und auch an eine Bibliothek erinnere ich mich. Manchmal gingen wir da spazieren, aber nicht so oft. Zu weit weg war das Musikviertel von meinem Zuhause im Leipziger Osten.

 

Je mehr ich an diese schöne Leipziger Gegend denke, desto mehr packt mich die Sehnsucht danach. In Google Maps fahre ich mit Pawel dreidimensional durch die Straßen des Viertels. Die Platanenstämme der Alleebäume sind zum Greifen nahe. Ich beschließe: da fahren wir hin. Heute!

 

Jetzt, im November.

 

Da sieht man die Häuser besonders gut, weil die Bäume und Büsche in den Gärten kein oder nur noch wenig Laub haben. Mal gucken, wie der Kaffee im Cafe Kowalski so ist. Und ob die Villen noch so sind, wie ich sie in Erinnerung habe.

 

Und ob mir dann diese Häuser noch was sagen, so wie früher.

 

Willst Du mit ? Na dann komm. Frau Hannelore Eisenberger hat eine kleinen Filmrundgang durchs Viertel gemacht. So als Vorgeschmack. Und ein kleiner Zeitungsartikel der Leipziger Volkszeitung zum Viertel.

 

 

***

 

Es ist soweit. Wir sind losgefahren. Der Tag ist kühl und klar. Nun bin ich aber gespannt, was mich in der Realität erwartet. Im Musikviertel in Leipzig.

 

 

Vom Leipziger Hauptbahnhof aus laufe ich in Richtung Altes Rathaus, Markt und Mädlerpassage. Da ist der berühmte Auerbachs Keller. Gibts eigentlich das Café Zentrum noch ? Vorbei am berühmten Kino Capitol. Dann gehts zum Neuen Rathaus. Über den Ring am Leuschner-Platz entlang. Und dann kommt man in die Tauchwitzstraße. Und ist schon im Musikviertel.

 

Ich tauche in die ruhigen Straßen ein. Ich erinnere mich. Spurensuche. Das Gute ist: Ich muss nichts, ich will nichts. Ganz enspannt bummele ich an den schönen Häusern entlang....

 

 

Wie wirkt es heute auf mich ?

 

Vieles erkenne ich wieder. Vor allem die schöne Atmosphäre dieses Stadtviertels gibt es noch. Alte Häuser wurden saniert, manche abgerissen. Neue Gebäude sind enstanden. Und Grünflächen. Die eine oder andere Brache gibt es noch. Auch so manches vernachlässigte Haus wartet auf jemanden, der sich um es kümmert. Die alten Platanen stehen unverwüstlich, viele bunte Blätter liegen auf Straßen und Wegen.

 

Auch zum Bundesverwaltungsgericht gehe ich. Seitdem es wieder der Justiz dient und nicht mehr nur Museum ist, war ich noch nicht wieder darin. 

 

 

Meine persönliche Favoritin im Villenbereich:

 

 

Und jetzt nähern wir uns der Geschichte. Hier habe ich etwas Besonderes erlebt.

 

Pass auf:

***

 

Vor vielen Jahren ging es um ein Erbe in der Familie. Dieses hatte ein wohlhabender Verwandter väterlicherseits aus Frankfurt am Main hinterlassen. Dieser Mann wohnte in früheren Jahren in Leipzig und war hier ein erfolgreicher Geschäftsmann. Unter anderem gehörte ihm ein Kino in Leipzig. Auch von weiteren Immobilien war die Rede. Nach dem Krieg, der Gründung der DDR und der Grenzschließung war das alles für seinen damaligen Besitzer passé.

 

Nun, Anfang der 1990er Jahre, war alles wieder ganz anders. Und aufregend.

 

Das für mich Interessanteste, außer dem alten Kino natürlich, war eine Adresse im Musikviertel von Leipzig. Wahrscheinlich eine Villa, denn dort in dieser Straße gab es eigentlich nichts anderes. In der Nähe der Rennbahn. Unweit des Stadtzentrums, trotzdem wunderschön grün und ruhig gelegen. Zwischen ähnlich distinguierten Bauwerken, Villen und Gründerzeithäusern. Absolut mein Geschmack, damals schon.

 

Wahrscheinlich kann das nur ein Leipziger verstehen, was das damals für mich bedeutete: Eine Villa im Musikviertel ! Das ist der absolute Oberhammer, was man sich in dieser schönen und lebendigen Stadt beim Wohnen vorstellen konnte ( und kann).

www.pixabay.com / GDJ
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Ich träumte jetzt von einer geräumigen Villa, vielleicht mit Säulenportal und Terrasse. Mit großen Wohnräumen, wo man sich eine Bibliothek einrichten und üppige Zimmerpflanzen aufstellen konnte. Mit Stuck an der Decke und glänzendem Parkett. Mit einer eleganten Treppe, die aus dem Erdgeschoss nach oben führt. Mit einer Raumhöhe, die das Zimmer und die Bewohner frei machte und nicht so ein Wohnkästchen bildet. So ein Käfig, wo man die Hände in der Lampe hat, wenn man sich den Pullover übern Kopf zieht. Nicht schön. Ein riesiges Bad hätte dieses Haus. Mit einer Badewanne, wo bequem zwei Leute reinpassen. Und die Löwenfüße hat und einen gigantischen Wasserhahn. Eine Küche mit schwarz-weißem Steinfußboden, einer Speisekammer und einer Extraabstellkammer daran. Ein kleines Waschhaus im Keller. Mit parkähnlichem Garten, wo Rhododendron, Jasmin und Rosen prächtig blühen und duften. Und wo eine alte Magnolie vor dem Haus steht und im Frühling ihre großen Blütenblätter über die ganze Wiese verstreut. Mit schmiedeeisernem Eingangstor und Ziergitterchen an den Kellerfenstern. Mit einem Souterrain, wo man sich eine Werkstatt reinbauen könnte.

 

Ich träumte ganz gewaltig, meine Phantasie war beträchtlich.

 

Bunt und üppig lag mein Leben vor mir.

 

Ich sah mich schon im seidenen Morgenmantel auf der Steinterrasse Kaffee trinken und auf dem edlen Diwan kluge Bücher lesen. Aber auch im Garten pflanzen, jäten und graben. Und im Haus malern, reparieren, räumen, putzen.

www.pixabay.vom / Clker-free-vector-images
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Irgendwann war es dann soweit. Mein Vater und ich fuhren nach Leipzig und erkundeten die noble Adresse im Musikviertel. Lange schon wohnten wir in einer anderen Stadt und waren nur noch ab und zu hier. Beide waren wir aufgeregt, heiter und machten unsere Späße über unser weiteres Leben.

 

Je näher wir der Straße, wo unser edles Haus stehen würde, nun kamen, desto stiller wurden wir. Jeder von uns hatte sich schon ein Bild des Hauses gemacht. Wie es vielleicht sein würde. Wir wussten auch, dass sich der ganze Traum in Luft auflösen konnte. Aber das störte uns wenig.

 

Wir waren einfach nur neugierig und voller verrückter Ideen.

 

www.pixabay.com / Mariamichelle
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Und dann erschien das Grundstück ! 

 

Was soll ich Dir sagen.

 

In einem Viertel, wo eine tolle Villa neben der anderen residierte, standen wir vor einem Stück Brachland. Na gut, ein paar hässliche Garagen hatte man hier gebaut. Aber ein schönes Haus gab es nicht. Ca. die Hälfte der feinen Häuser fiel den Bomben des zweiten Weltkrieges oder dem späteren Verfall zum Opfer. Unseres war eins davon.

 

Entgeistert guckten wir abwechselnd auf die ollen Garagen, die wuchernde Goldrute, die kaputten Dachziegel. Und uns doof an. Sehr schade. Aber wir konnten damals schon über uns lachen. Ich erinnere mich an einen sehr schönen Tag. Wir sagten uns, so ein Grundstück in dieser Gegend ist ja auch schon was Tolles. Man könnte es verkaufen oder was drauf bauen. Eine Villa, ein Kino, einen Drogeriemarkt, einen Nachtclub. Was auch immer. Später wurde auch daraus nichts, aus verschiedensten Gründen.

 

Von der ganzen Story blieben schöne Tage in Leipzig, jede Menge lustige Träume und - diese Geschichte.

 

Und das ist doch auch schon ganz schön viel, oder ?

 

Na so was! Keine Villa, dafür Garagen?
Na so was! Keine Villa, dafür Garagen?

 

Der Maulwurf guckt versonnen. Wie schön hätte er in einem solchen Garten graben können....

 

Ich tröste ihn. Es ist ja noch nicht aller Tage Abend. Wer weiß, was das Leben noch bereithält. Für uns. Für Dich.

 

Der Hase aus "Alice im Wunderland" wartet schon auf uns, an der Haydnstraße. Die Hoffnung stirbt zuletzt doch nicht!
Der Hase aus "Alice im Wunderland" wartet schon auf uns, an der Haydnstraße. Die Hoffnung stirbt zuletzt doch nicht!