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Von Erinnerungssteinen und Hofnarren

...und was beides miteinander zu tun hat

 

Diesen bemalten Stein kauften wir vor vielen Jahren unterwegs. In einem kleinen Ort im Erzgebirge.

 

Der Stein lag mit einigen "Artgenossen" auf einem kleinen, niedrigen Wohnhaus-Vordach am Weg, so dass die vorbeilaufenden Leute sie in Ruhe betrachten konnten. Jeder Stein hatte ein kleines Preisschild, handgeschrieben.

 

Mein Sohn war damals noch klein. Wir beide guckten uns immer gerne die Steine an, wenn wir dort entlang gingen. 

 

Dieser hier mit Pferd und Indianer gefiel uns so gut, dass wir ihn kauften und den Preis in den dafür bereitstehenden Behälter steckten. Ich glaube, er kostete 6 €. Die Idee, Steine so schön zu bemalen, gefiel uns. Und außerdem war der Künstler auch noch geschäftstüchtig und einfallsreich, so, wie es aussah. Das gefiel uns erst recht. Seine oder ihre Initialien stehen auf der Steinunterseite. C. D., denke ich. Vorname vielleicht Christian, Claus, Clara oder Chantal.

 

Die Motive reichten von Indianern, Pferden, Cowboys bis hin zu Sternzeichen. Einmal hatte doch der Unbekannte einen wunderschön knallroten rundlichen Stein mit einem goldenen Skorpion drauf fabriziert. Ich bereue es heute noch, den nicht gekauft zu haben. An dem Tag hatten wir leider kein passendes Geld dabei. Schade.

 

Aber der Indianerstein steht heute noch am Badspiegel und erinnert uns an eine schöne Zeit.

 

 

Vor einigen Tagen bin ich nach langer Zeit wieder mal dort vorbei gegangen, beim Steinemaler. Was zu erwarten war, sah trotzdem ein wenig traurig aus: das verwaiste Vordach, auf dem früher so reichlich und bunt die besonderen Steine gelegen hatten. Na ja, auch der Künstler ist sicher erwachsen geworden und bemalt wahrscheinlich heute (leider)  keine Steine mehr.

Weg des Steinemalers
Weg des Steinemalers

 

Aber halt - was war denn das ?! Zwar keine Steine lagen hier. Aber ein rebellisch aussehendes Schild stand vor dem Dach auf dem Grundstück. Ich habe es fotografiert, lies selbst:

 

 

Da war er doch, unser aufmüpfiger Freund aus früherer Zeit !

 

Hatte er vor Jahren, vielleicht so im Alter von 12, 13 Jahren Steine bemalt und verkauft, war er dafür evtl. von Eltern und Freunden misstrauisch beäugt und auch ausgelacht worden ? So einen Eigenbrötler, Spinner, Künstler wollte man nicht. Krach gab es allemal, aber das machte unserem Steinekünstler nichts aus. Ganz im Gegenteil, er war so ein Charakter, wie ich ihn mag: Gegenwind macht ihn nur immer stärker.

 

Meckerten die Eltern, er solle sich lieber in die Garage scheren und dem Vater beim Absägen irgendeines Flansches für irgendwas Uninteressantes helfen, so ging er in seinen Malschuppen und bemalte Steine.  ("Was soll nur aus dem Jungen werden" jammerte die Mutter.) Er aber war glücklich.

 

Kamen seine Freunde und wollten, dass er mit zum Fußballtraining ging, so lehnte er meistens höflich, aber bestimmt ab. Mürrisch und verständnislos zogen sie ab. Er aber - ging in den Malschuppen und bemalte Steine. ("Der Spinner, trifft eh das Tor nicht...." lästerten die Kumpels beim Davongehen.) Er aber war glücklich.

 

Kam ab und zu ein bestimmtes Mädchen an den Zaun, die Nicole oder Nadine hieß, Kirschenaugen und eine freche Frisur hatte, so plauderte unser Künstler charmant mit ihr und zeigte der Auserwählten sogar mal den Malschuppen von innen und die neuesten Steine. Hier ereignete sich wahrscheinlich sein erster Kuss. Aber irgendwann sprach er: "Süße, ich hab hier noch zu tun. Wir sehn uns morgen." Und sie musste gehen. Auf dem Heimweg brummelte sie beleidigt vor sich hin: "So ein Affe, soll der doch seine Steine küssen." Er aber bemalte einen besonders schönen Stein - und war glücklich.

 

Na ja, so war das. Vielleicht.

 

unsplash.com / Robert Anasch
unsplash.com / Robert Anasch

 

Irgendwann war unser Künstler erwachsen. Er ergriff einen Beruf, der möglicherweise mit Steinebemalen nicht viel zu tun hatte. Vielleicht war er Elektriker oder Schlosser geworden, das sind auch oft sehr kreative, ideenreiche  Leute. Hatte er etwa eine Klempnerwerkstatt oder einen Landmaschinenverleih eröffnet ? Oder eine Skischule ? Wie auch immer. Möglicherweise gibt es schon eine eigene Familie, um die er sich kümmern muss.

 

Jedenfalls hat das alles nicht gereicht, um seinen rebellischen Geist zu vertreiben. Bestimmt hat unser Künstler übermütig funkelnde Augen, die er manchmal rollt. Etwa, wenn seine Frau vorwurfsvoll sagt: "Schatz, das Küchenfenster ist immer noch kaputt, darum wolltest Du Dich doch endlich kümmern." Dabei hat er doch gerade wieder eine Idee!

 

Beim Lesen so über dies und das hat er einen alten Roman gefunden. Darin geht es unter anderem auch um den Hofnarren von August dem Starken (1670 - 1733), sächsischer Kurfürst und späterer König von Polen. Des Narren Äußerungen gefallen unserem Exsteinemalerkünstler.

 

Ein Blatt will er ausdrucken und auf einem Schild vors Haus stellen. Sollen die Leute doch mal nachdenken. In diesen Zeiten. In diesem Land.

 

Er selbst ist einer, der nachdenkt. Und Ideen hat. Früher. Und heute auch.

 

***

 

Den Malschuppen gibt es noch. Dort hat er vor kurzem mit seinem kleinen Sohn ein Vogelhaus für den Winter gebaut. Und bemalt.  

 

Und da war noch Farbe übrig. Und die Pinsel waren eh schon eingesaut.

 

Da haben die beiden dann noch einen schönen runden Stein bemalt. Mit einem Ritter.

 

Seine Frau, die Nicole oder Nadine vielleicht, guckt zur Türe rein, sieht den Stein und muss lachen. Und der Kleine reiht schon neue Steine auf, die er alle, alle selber bemalen wird.....

 

Wer weiß, vielleicht liegen in ein paar Jahren wieder neue Steine vom Steinemaler junior auf dem Vordach. Und dann wird wieder einer dabei sein, der mir sehr gefällt. Den ich dann sofort kaufe, damit es nicht so wird wie mit dem Skorpionstein. Deshalb werde ich ab jetzt immer paar Euromünzen in der Tasche haben, wenn ich da hinfahre.

 

Man weiß ja nie.

 

Büste Joseph Fröhlichs (1976 / J. -G. Kirchner)
Büste Joseph Fröhlichs (1976 / J. -G. Kirchner)

Mich hat mein Steinemaler zum Nachdenken angeregt.  Oder die Steinemalerin.

 

Und jetzt hab ich mir ein Buch gekauft über den Hofnarren Joseph Fröhlich. Ein Schriftsteller namens Hans Joachim Schädlich hat es geschrieben. Es ist ein neuer Roman, soll sehr gut geschichtlich recherchiert und schnörkellos geschrieben sein. Da bin ich gespannt. Auf den rebellischen Narren.

 

 

 

***

 

Der Maulwurf fragt mich gerade, was denn ein Hofnarr ist und was der so macht.

 

Ich erkläre es ihm. 

***

 

Die Hofnarren waren seit dem Mittelalter eine gesellschaftliche Institution, ähnlich dem Mätressentum, an den europäischen Herrscherhöfen. Sowenig die herrschaftliche Mätresse ein einfaches Betthäschen war, sowenig kann man den Hofnarren als simplen Possenreißer sehen. Beide hatten ein öffentliches Amt bei Hofe; besondere Rechte, Pflichten und Privilegien.

 

Der Hofnarr durfte als Einziger dem Herrscher unverblümt die Wahrheit sagen und die Zustände kritisieren. Auch die Großen des Landes, die Adligen, mussten sich Kritik des Narren gefallen lassen.  Wenn er sie zum Beispiel parodierte und lächerlich machte. Nichts durfte ihm dafür getan werden. Er genoss die "Narrenfreiheit". Auch heute noch gibt es einen Rest Narretei. So übernehmen manche Comediens auf den Bühnen des Landes die Rolle der früheren Hofnarren. Vor allem zu Fastnacht / Carneval / Fasching müssen Politiker sich oft derbe Kritik öffentlich gefallen lassen. Man denke an den Nockherberg.

 

Der Maulwurf nickt verstehend. Muss doch auch schwer sein, diese Balance. Zwischen Witzigsein und ernsthafter Kritik. Zwischen Handstand und Kasperei und dem wirklich wichtigen Hinweis auf bestehende Schwierigkeiten.

 

Haupt-Voraussetzung für den Erfolg des Narren waren zwei Personen: Der Narr selber - eine kluge, ideenreiche, politisch bewanderte, ausdrucksstarke und witzige Person. Und der Herrscher. Der trotz aller Macht in seiner Hand und aller Stärke, die demonstriert werden musste, auch mal die Wahrheit in den Worten seines Narren verstand. Und daraus eine positive Lehre zog. Der Mächtige durfte sozusagen nicht völlig beratungsresistent sein.

 

Da kann man froh sein, dass es heute keinen persönlichen Hofnarren mehr gibt. Denn der hätte es wahrscheinlich sehr, sehr schwer.

 

"Warum seht und hört und schreit Ihr denn nit, wenns Feuer die Zung aus dem Dachstuhl bleckt ?"

 

Ja, warum.