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Der Leichenzug von Dippoldiswalde

Der Fluch der bösen Brüder

Grundlage: www.pixabay.com   /   Elukac
Grundlage: www.pixabay.com / Elukac

 

Heute habe ich Dir eine Geschichte mitgebracht, die auf eine alte Sage der Stadt Dippoldiswalde zurückgeht: 

 

ZITAT:

 

"Der Leichenzug an der Schlossmauer

 

Vor Erbauung der Bahnhofstraße und als die königliche Bezirks-Steuer-Einnahme noch nicht stand, dieselbe wurde erst in den Jahren 1901/02 erbaut, befand sich in der alten Schlossmauer, die das ganze große Grundstück umgab, ein niedriges Tor, von dem die Sage ging, nachts um die zwölfte Stunde öffne es sich auf geheimnisvolle Weise und ein Leichenzug bewege sich daraus hervor.

 

Ob sich derselbe nun nach rechts oder links begab, ob er jede Nacht oder nur in besonderen Nächten erschien, wo derselbe jetzt sein Unwesen treibt, oder ob er am Enden nunmehr „erlöst“ ist, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden.

 

Quelle:

  • Klengel: 1938, Sagenbuch des südöstlichen Erzgebirges / www.dippoldiswalde.de "
Schloss Dippoldiswalde
Schloss Dippoldiswalde

 

***

 

Was wohl hinter dieser Geschichte steckt ? Überhaupt irgendetwas ? Oder nur die überhitzte Phantasie einiger ängstlicher Plappermäuler ? Wer weiß, kann schon sein. Oder auch nicht. Lassen wir unsere Gedanken in frühere Zeit schweifen....

 

Pass auf, so könnte es gewesen sein. Ich erzähl es Dir jetzt:

 

***

 

Auf einem Felsen im Weißeritztal lebte einst ein Herrscherpaar. Es stand dort, auf dem später Burgwartberg genannten Hügel in der Nähe des heutigen Freital,  eine Burg - Castel Thorun.

 

Das alles ist schon sehr lange her, denn die Burg wurde 1206 zerstört. Unsere Geschichte spielt weit vorher, als die Burg noch bewohnt und Zentrum eines kleinen Reiches war.

 

Die damaligen Bewohner waren fünf Brüder mit ihren Eltern. Die Brüder waren zusammen auf dieser Burg aufgewachsen. Schon der Urgroßvater hatte die Geschicke des kleinen Reiches rund um die Burg im Weißeritztal gelenkt. Eigentlich war auch klar, wer dem Vater auf den Herrschersitz, denn ein wahrer Thron war der grobe Stuhl wohl nicht, folgen würde. Natürlich nach Tradition der älteste Sohn - Gunther. 

 

Nun war es aber so, das Gunther ein ganz übler Bursche war. Schon als Kind quälte er zum Spaß Tiere und interessierte sich nicht für die Welt des Geistes und der Schriften. Stattdessen war er ein erfolgreicher Raufbold und Tunichtgut, beizeiten auch als Schürzenjäger bekannt. Die Mädchen fürchteten sich sehr vor ihm, denn er war grob, gemein und rücksichtslos.

 

Sein Vater war klug genug, das zu erkennen. Die Mutter grämte sich sehr über ihren Erstgeborenen, aber sie wusste, dass ihr Gemahl Recht hatte. Diesem Sohn konnte man keinesfalls die Herrschaft über das kleine friedliche Reich anvertrauen. Die Menschen lebten hier gut miteinander zusammen, das sollte auch so bleiben. Mit Gunther nicht möglich, schätzte der Vater weise ein.

 

Sorgenvoll betrachtete der Gramgebeugte seine Kinder. Alles Söhne. Stolz könnte er sein. War er aber nicht. Denn so wie Gunther waren auch die im Alter nachfolgenden drei von einer Wesensart, die eine weise Herrschaft nicht erwarten ließ. Lothar, Walther und Rolf waren zwar nicht so bösartig wie ihr ältester Bruder Gunther. Immerhin. Aber dafür waren alle drei faul und hatten nur ihr Vergnügen im Sinn. Oft weinte ihre Mutter im Verborgenen, denn sie war sich keiner Schuld bewusst. Liebte sie doch all ihre Kinder gleich und hatte niemals eines bevorzugt. Die vier Älteren waren wirklich schlechte Männer.

 

Ganz anders Konrad, der jüngste der Brüder.

 

Sein Vater lächelte stets, wenn er ihn betrachtete oder auch nur an ihn dachte. Auf ihn war er wirklich stolz. Für die Mutter war dieser letzte Sohn der so sehr benötigte Lichtblick im Leben. Denn Konrad war klug, gut, stark, liebenswert und humorvoll. Dieser Sohn war an den Wissenschaften genauso interessiert wie an den Kampfkünsten. Seine Hand konnte ein Schwert führen, eine Laute spielen und liebevoll über den Kopf des Hofhundes Arras streicheln. Auch die Mädchen freuten sich, wenn sie ihn sahen. Keiner wäre der Gedanke zur Flucht gekommen. Denn, als Krönung seines klugen, freundlichen und tapferen Wesens sah er auch noch gut aus, der Konrad. Groß gewachsen, mit wachen grünen Augen, einer leicht gebogenen Nase und dunklen Locken überragte er seine untersetzten, kurzbeinigen Brüder bereits im Jünglingsalter.

 

Die waren natürlich neidisch. Sie gönnten dem Jüngeren nicht, dass er besser war als sie. Statt zusammenzuhalten wie es Brüder sollten, bekämpften sie Konrad, sobald sie nur konnten. Große Missgunst wohnte in ihren Herzen. Sich zu ändern - daran dachten sie nicht.

 

Als Konrad einundzwanzig Jahre alt war, folgte er dem Vater nach und übernahm die Herrschaft des Landes. Er heiratete die Tochter eines Adligen aus der Nachbarschaft, weil seine Mutter es so wollte und kunstreich eingefädelt hatte. Die hatte sich dabei allerdings etwas gedacht, wie Mütter das so machen. Nicht nur kam hier zusätzlich Land ins Reich, weitere Dörfer, Mühlen, Felder und Wälder. Sondern auch eine Frau für Konrad, wie man sich keine bessere wünschen konnte. Denn Boleslava, so hieß sie, war nicht nur schön. Genau wie Konrad war auch sie mit allerlei guten Wesenszügen und Begabungen ausgezeichnet. Nur leider gehörte das Sprechen nicht dazu. Boleslava hatte einen Sprachfehler. Sie konnte einfach kein S aussprechen. Aber wie es manchmal so ist im Leben: dieser kleine Makel an der sonst so perfekt scheinenden Braut eroberte Konrads Herz im Nu. Beide verliebten sich ineinander, Hochzeit wurde gefeiert. Boleslava schnatterte jetzt unentwegt, denn ihr Sprachfehler war ihr nicht mehr peinlich.

 

Wusste sie sich doch geliebt von Konrad.

 

Boleslava und Konrad   /       www.pixabay.com   /   KHphotography
Boleslava und Konrad / www.pixabay.com / KHphotography

 

Die Tatsache, dass der junge Konrad vor ihnen die Herrschaft übernommen hatte, war für seine vier Brüder schon schwer zu ertragen. Längst schmiedeten sie unklare Pläne, jeder für sich, wie sie selbst an diese Aufgabe kommen könnten. Wollten sie sich doch nehmen, was sie wollten und keine Rücksicht mehr nehmen auf andere. Das war ihr Anspruch. Das weise Regieren, das Beschützen der Untertanen, die Vermehrung des Wohlstandes durch klugen Fortschritt dagegen war ihnen völlig egal.

 

Als nun auch noch Boleslava auf Burg Thorun einzog und Konrads Glück vollkommen machte, da platzten die vier fast vor Wut. Hier musste etwas geschehen. Sie trafen sich ab und zu, um sich zu beraten und ihre Kräfte zu vereinen. Natürlich planten sie nichts Gutes. Denn sie wollten Konrad und Boleslava loswerden. Wenn hier erst Kinder kämen, Söhne gar, dann wäre die Situation noch vertrackter als jetzt schon. Also tat Eile not.

 

Konrad und Boleslava waren mit ihren neuen Aufgaben, mit sich selber und miteinander so beschäftigt, dass sie keinen Sinn für die bösartigen Sticheleien der Brüder hatten. Mutter und Vater ermahnten sie,  sich vorsichtig und aufmerksam zu verhalten, wachsam zu sein. Aber das taten sie nicht immer, obwohl sie sich bemühten.

 

Die Brüder fassten indes einen teuflischen Plan.

Wachsam und vorsichtig: Boleslava und Konrad. Bösartiger Intrigant in der Mitte: Gunther (www.pixabay)

 

Hofhund Arras war inzwischen alt geworden. Immer noch war er der Liebling von Konrad, der für seinen alten Freund beinahe alles getan hätte.

 

Eines Nachts, der Vollmond stand am wolkenlosen Winterhimmel, fingen die bösen Brüder den armen Arras ein. Sie brachten den alten Hund in den Burgkeller, wo Gunther ihn festband. Zu dieser Stelle, an der Arras verharren musste, führte nur eine steile und baufällige Treppe, die im kommenden Frühjahr erneuert werden sollte. Nachdem sie wieder nach oben geklettert waren, übergossen die Brüder von oben die Treppe mit vielen Eimern eisigen Wassers. Kein Mensch benutzte diesen Kellerzugang zur Zeit.

 

Nun war aber der arme Hund dort unten gefangen. Es war eine kalte Winternacht und er fror fürchterlich. Auch hatte er von dem Wasser etwas abbekommen. Sein Fell war nass. Schließlich fing er an zu bellen und zu jaulen, um auf sich aufmerksam zu machen.

 

Konrad hatte Arras schon vermisst. Nach dem Abendessen war er um Thorun herumgelaufen, hatte den alten Freund gerufen, vergeblich. Sorgenvoll stand er jetzt am Fenster des Schlafgemachs, das er mit Boleslava teilte. Sie sprachen darüber, wo Arras wohl sein könnte, wie man ihn am besten suchte. Bei der Kälte sollte der Hund nicht die Nacht draußen verbringen.

 

Da! Ein Heulen und Winseln.

 

Konrad sprang auf und rief: "Arras!" Dann rannte er die Treppe hinunter, so schnell er konnte. Boleslava folgte ihm. Beide gingen dem Geräusch nach und standen schließlich an der steilen, verfallenen Treppe, deren unsichere Stufen nun auch noch vereist waren. Tief hinab ins Dunkle führten sie. Aber was sollte es. Konrad begann, vorsichtig hinunterzusteigen. Seine Frau zögerte kurz, folgte dann aber. Vorsichtig tasteten sich beide Stufe um Stufe nach unten. Der Mond schien.

 

Dann stand plötzlich Gunther hinter Boleslava und packte sie ! Er presste ihr seine große Hand auf den Mund, damit sie nicht schreien konnte. Dann schleuderte er die Ärmste mit voller Wucht die Treppe hinunter. Im Dunkeln, auf den vereisten Stufen, stürzte sie und prallte auf Konrad, der darauf nicht gefasst war. Beide fielen die Treppe, oder was davon übrig war, hinunter. Als sie unten aufschlugen, waren sie tot. Auch für Arras gab es nun keine Rettung mehr. Er erfror in derselben Nacht.

 

Am nächsten Morgen vermisste man das junge Herrscherpaar und auch den alten Hund. Es wurde gesucht. Nach langem Rufen und Diskutieren und Nachsehen in allen Burgwinkeln fand man die drei endlich. Aber es war zu spät. Keiner konnte gerettet werden.

 

Die Trauer der Eltern war unbeschreiblich. 

 

Das Begräbnis von Konrad und Boleslava erfolgte in Dippoldiswalde, an der Grabkapelle des Heiligen Nikolaus. Der alte Arras bekam seine letzte Ruhestätte unter einer kleinen Eiche an der Weißeritz. Ein freundlicher Stallbursche hatte sich darum gekümmert.

 

Der grausame Gunther übernahm nun die Herrschaft des kleinen Reiches.

 

Zur Strafe für das vermeintlich ihm angetane Unrecht verbannte Gunther seine Eltern von der Burg Thorun. Seinen Brüdern gab er Reichtum und freie Hand für ihre Schändlichkeiten.

 

Das Volk litt unter diesen Verbrechern. Kein Recht galt mehr. Es wurde geraubt und gemordet, Häuser wurden angezündet, Vorräte geplündert. Auch Frauen und Kinder waren nicht mehr sicher in dieser Zeit. Tiere sowieso nicht. Ein Leben galt nichts. Viele Menschen starben oder flüchteten vor den grausamen Brüdern von Burg Thorun. Weit über die Landesgrenzen hinaus waren diese bekannt. Kein vernünftiger Mensch siedelte sich mehr hier an. Nur eine Menge bösartiges, verworfenes Pack wurde durch diese Herrschaft angezogen. Das Land verwahrloste zusehens.

 

Die Eltern starben im Exil, zuerst die Mutter, deren Herz endgültig gebrochen war. Dann der Vater, weil er ihren Verlust nicht auch noch verwinden konnte.

 

Eine Tragödie.

 

Die vier Brüder lebten aber munter weiter und trieben ihr Unwesen. Aber irgendwann starben auch sie.

 

www.pixabay.com   /   Momentmal
www.pixabay.com / Momentmal

 

Auf ihnen liegt ein Fluch, herbeigerufen durch ihre unzähligen schlimmen Taten.

 

Die vier bösen Brüder Gunther, Lothar, Walther und Rolf sind verdammt dazu, nach ihrem Tod keine Ruhe zu finden. Jedesmal, wenn Vollmond ist, tragen sie ihren toten jüngsten Bruder Konrad wieder zu Grabe. Ihr Weg führt sie dann auch durch das Dippoldiswalder Schloss. Jedes Mal. Dort entlang, wo am Ende die kleine Pforte aus dem Schlossinneren nach draußen in Richtung des Friedhofs führt. Du siehst diesen Schlossbereich oben auf dem Bild. Dort soll der bizarre Leichenzug ab und zu zu sehen sein.

 

Wie die Sage weiß.

 

***

 

Heute noch kann man vor den Toren Dippoldiswaldes einen uralten Kirschbaum finden. Er ist knorrig und ausgehöhlt. Trotzdem blüht er jedes Jahr wieder und trägt süße schwarzrote Kirschen. 

 

Man sagt dem Baum Zauberkräfte nach, und dass er seine Kraft von dem unglücklichen Paar bekommt, das einst auf Thorun herrschte. Und auf so grausame Weise und viel zu früh sterben musste. Wie der Hund Arras.

 

Der Baum aber scheint ewig zu leben. Vielleicht findest Du ihn und isst im nächsten Sommer ein paar von seinen wundertätigen Früchten ?

 

Und vielleicht können die bösen Brüder auch erlöst werden. Nur wie? Das weiß ich nicht.

 

 

***

 

Der Maulwurf gruselt sich vor den fiesen Brüdern. Er wird heute auf keinen Fall mehr in den Keller gehn. Und das, obwohl er gar keine Geschwister hat. Ich verstehe ihn.

 

P. S.: 

 

Du wolltest doch noch wissen, wie Arras aussieht: Hier ist er:

www.pixabay.com / 422737
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