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Der Geisterhase bei Frankenberg (Sachsen)

Nehmen wir an, er hatte seine Gründe oder was Frankenberg mit Georgien zu tun hat

www.pixabay / skeeze
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Gefunden bei Johann Theodor Grässe im Sächsischen Sagenschatz:

 

[409]

471) Der gespenstige Hase bei Frankenberg.
Mündlich.

An der Frankenberger Straße, die nach Chemnitz führt, steht in einem Dorfe ein schöner neugebauter Gasthof, in dem kein Besitzer lange bleibt, denn da läßt sich am Tage und des Nachts ein Hase sehen, der überall neben dem Hausherrn herläuft, allerdings ohne ihm etwas zu thun, für alle Andern aber unsichtbar ist.

 

 

Was war denn hier los ? 

 

Komm, lass uns ein paar Vermutungen anstellen.

 

Aber zuerst die Fakten, die mageren:

 

Der Ort des Geschehens ist ein Gasthof an der Straße zwischen Frankenberg und Chemnitz. Da wir keine genaue Zeit der Überlieferung kennen, ist "neu gebaut" relativ. Es kommen also mehrere Objekte in Frage, zumal der gemeinte Straßenverlauf auch nicht eindeutig ist.

 

Wir wissen nur, es ist ein Gasthof in der Frankenberger Gegend, vielleicht sogar im heutigen Frankenberg selbst.

 

 

www.pixabay.com  /  rkarkovsxi
www.pixabay.com / rkarkovsxi

 

Dieser Gasthof gehörte einstmals in früherer Zeit einem Wirt namens Hans. Dieser Hans war eine etwas furchtsame Persönlichkeit und sehr abergläubisch. Hans hatte die Angewohnheit, seine Sorgen und Ängste am Abend mit mehreren Humpen schweren Weins zu bekämpfen. Was auch ganz gut wirkte. Er wurde stets heiter und gelassen, die Furcht wich. Da störte es ihn auch nicht, dass gelegentlich ein weißer Hase auftauchte, der ihm still Gesellschaft leistete. (Sollte man sich schon mal Gedanken machen, wenn es soweit ist.)

 

Der Hase saß einfach nur ruhig neben Hans und schaute ihn ab und zu an. Auch ließ er sich zutraulich hinter den langen Ohren kraulen und streckte sich dabei wohlig. Ein angenehmer Hausgenosse. Nur war er immer verschwunden, wenn Hans wieder nüchtern war. Und auch während des Hasen Anwesenheit konnte nur Hans ihn sehen, sonst keiner. Irritierend, zumindest.

 

Die Leute hielten Hans  für einen gemütlichen, freundlichen, etwas unzuverlässigen Zechbruder. Er war als Wirt sein bester Gast, was nicht zu seinem eigenen Vorteil war. Auch Hans' Frau, die Isolde, hatte das schon lange begriffen und war auf und davon. Anlass dafür war das Auftauchen des Hasen gewesen.

 

Den Isolde ja nicht sah. Als Hans Abend für Abend da saß, in der Luft herumkraulte und dabei leise Koseworte sprach, wurde es ihr endgültig zu bunt. Sie packte ihren Kram, äußerte ein letztes Mal Zweifel an Hans' geistiger Gesundheit ("Schglob, De bist irre.") und war verschwunden. Zu ihrer Mutter nach Oederan, der sie nun die Ohren vollheulte.

 

Irgendwann trank Hans mehr als alle seine Gäste, den Hasen schien das scheinbar nicht zu stören. Aber Hans musste sich alsbald um seine Entfernung vom Alkohol und vom Gasthaus bemühen, wenn er weiter leben wollte. Das wurde ihm klar und das tat er. Hans wurde dauerhaft nüchtern und arbeitete bei einem Bauern im Thüringischen als Knecht und später als Bratwursthersteller in der Nähe der Wartburg, damit sehr erfolgreich. Den Hasen hat er nie wieder gesehen, aber noch manchmal an ihn gedacht. Ohne ihn hätte er das nicht geschafft.

 

Indes war der nächste Pächter ins Gasthaus gekommen. Also eigentlich Pächterinnen, und sogar zwei.

 

Es waren das Irmtraudt und Cordula, zwei reizlose Schwestern. Wegen ihres garstigen Charakters und dem nicht gerade verführerischen Äußeren waren die beiden unverheiratet und kinderlos geblieben. Da sie sich mangels Gatten selbst um ihren Lebensunterhalt kümmern mussten, waren sie auf das Gasthaus gekommen, das dringend einen Pächter suchte. Gesagt, getan. Die beiden unansehnlichen Streitbesen übernahmen das Ruder. Sie buken und brieten, schmorten und pökelten, pürierten und zuckerten vom Feinsten. Denn das konnten sie wirklich gut.

 

Die Gäste kamen in Scharen wegen des leckeren Essens, nicht wegen der garstigen Schwestern. Das wussten diese natürlich und waren manchmal etwas traurig. Beide saßen dann nach Feierabend vor der Hintertür, rauchten heimlich ein Pfeifchen und bekamen nach einiger Zeit Besuch.

 

Vom weißen Geisterhasen !

 

 

Marktplatz, www.frankenberg-sachsen.de
Marktplatz, www.frankenberg-sachsen.de

 

Beide Schwestern konnten ihn sehen, den Hasen, sonst aber keiner. Natürlich begannen sie, sein weiches Fell zu streicheln und mit ihm zu sprechen. Je öfter der Hase zu Besuch kam, desto sanfter wurde  das Wesen der Schwestern. Waren sie früher stets mies gelaunt, hämisch, böse, neidisch, fies und gemein gewesen, so wandelten sie sich ganz wunderbar.

 

Denn mit der Zeit wurden sie freundlich, fröhlich, hilfsbereit, verständnisvoll und gut. Selbst ihr Äußeres veränderte sich zum Positiven. Die bisher steckenhaft Dürren rundeten sich zusehens, so dass sie wie wirkliche Frauen aussahen. Die Haut wurde rosig und frisch, Augenringe und Pickel verschwanden. Die Haare bekamen Glanz und Kraft, die Augen leuchteten froh. Das entging natürlich den Männern nicht. Und so wundert es uns nicht, dass die Schwestern übers Jahr verheiratet waren und nun den Gasthof aufgaben.

 

Danach kamen noch viele Pächter, die alle nach spätestens einem Jahr wieder weggingen. Dabei waren die Gründe dieser Menschen für die kurzfristige Aufgabe des Gasthofes so vielfältig wie sie selber. Hatten einige Angst vor dem Gespensterhasen und wollten mit ihm nicht an einem Ort sein, so glaubten andere an ihre eigene Verrücktheit und gingen deshalb weg. Auch mehrere Entwicklungen zum Guten hin so wie bei den ehemals unangenehmen Schwestern Cordula und Isolde hat es wohl gegeben.

 

So war da zum Beispiel ein armer und verzweifelter junger Mann, der aus musikalischer und gelehrter Familie kam. Alle konnten etwas, nur er nicht. Sein Vater sagte zu ihm, er sei so dumm wie ein Sack Holz und ebenso musikalisch begabt wie dieser. Von ihm, dem Vater, habe er das nicht. Worauf es Streit zwischen den Eltern gab, denn nun fühlte sich die Mutter diskriminiert.

 

Jedenfalls schlich der junge Mann traurig davon und übernahm den Frankenberger Gasthof. Seine ehemaligen Schulkollegen lästerten: "Wer nichts wird, wird Wirt."

 

Wundersam gestaltete sich des jungen Mannes Zukunft. Mehr so zum Zeitvertreib fing er an, nach Feierabend Geige zu spielen. In Gegenwart unseres Hasen, natürlich. Immer besser wurde sein Spiel. Schließlich traute er sich, seinen Gästen etwas vorzutragen. Daraufhin vervierfachte sich seine Kundschaft. Alle wollten den begabten Geigerwirt hören. Auch ein berühmter Kirchenmusiker namens Bach aus Leipzig hörte von ihm und besuchte das Gasthaus. Er erkannte das Talent des jungen Mannes und nahm ihn mit in die große Stadt. Der Hase war also wieder solo, so ist das Leben. Auch als Geist.

 

Viele kamen und gingen über die Jahrhunderte im Gasthof ein und aus.

 

***

 

Restaurant Tbiliso, Frankenberg, Gutenbergstraße
Restaurant Tbiliso, Frankenberg, Gutenbergstraße

 

Bis zum Jahr 2019.

 

Der Hase war immer noch da, in seinem uralten angestammten Gespenstergasthausdomizil. Immer noch war er unverändert weiß, schön und flauschig.

 

Und da, eines Tages geschah es. Ein georgisches Restaurant namens "Tbiliso" zog ein in das Haus. Natürlich mit einer georgischen Speisekarte.

 

Unser Hase war verstört, weil er schon das Wort "Tbiliso" nicht aussprechen konnte. Bisher hatte das Gasthaus Namen gehabt wie "Zum Roten Ochsen", "Zum Goldenen Anker", "Sabines Frühstücksstube" oder einfach nur "Joes". Es hatte hier Bratwurst, Rinderrouladen, Hühnerfrikassee und Karpfen gegeben. Später dann Hackepeterbrötchen, Pommes, Burger und Langnese-Eis. Daran hatte er sich gewöhnt. Aber nun ?

 

Beim Buchstabieren der neuen georgischen Speisekarte hatte er Schwierigkeiten.  Hier gab es leckere Limonade, die er gern mal bestellt hätte. Aber die hieß Natachtari, das war schwer auszusprechen. Seine Hasenlippe schmerzte schon von den Sprechübungen.

 

Andererseits war am Haus seit neuestem eine schöne sonnige Terrasse. Und das georgische Essen roch sehr gut. Auch der Salat und das Desert. Hhmmmm. Er schnupperte mit der Hasennase in die Luft.

 

***

 

Und da fasste der Hase einen Entschluss: Er würde bleiben. Mal sehn, ob ihn hier jemand kraulte. Die neuen Restaurantbesitzer sahen auch nicht so aus, als ob sie leicht zu erschrecken wären.

 

Es war an der Zeit, dass jemand bleiben würde.

 

Fand der Hase.

 

***

 

 

Georgische Filzpantoffeln     www.pixabay.com / Falco
Georgische Filzpantoffeln www.pixabay.com / Falco

 

Der Maulwurf checkt online die Restaurantöffungszeiten vom Tbiliso und guckt, wie wir nach Frankenberg fahren. Denn er will unbedingt dieses Herz-Desert und die unaussprechliche Limo probieren. Sicher haben die Georgier auch guten Kaffee. Schöne Filzpantoffeln allemal, guck Dir mal die Bilder an.

 

Freude pur.

Georgisches Desert aus dem Tbiliso / www.facebook.com
Georgisches Desert aus dem Tbiliso / www.facebook.com