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Rot belebt !

Eine Berliner Geschichte

Bild 1: So ähnlich war unser Hinterhof, damals im Sommer mit grünem Baum und paar Blumentöpfen in den Fenstern ganz schön.

 

In der Zeit meines Studiums hatte ich eine Kommilitonin und Freundin in Berlin.

 

Sie wohnte damals in einer ziemlichen Bruchbude. Deshalb war sie äußerst glücklich, als sie eines Tages die Wohnung eines Bekannten namens Gerd im Prenzlauer Berg übernehmen konnte. Diese Wohnung lag in einem Hinterhaus mit freundlichem Hof. Die Wohnung hatte ein großes Zimmer, Küche, Bad und einen geräumigen Flur. Das Klo war in der Wohnung, nicht auf der Treppe. Also perfekt für eine einzelne Studentin.

 

Meine Berlinerin erzählte mir die Neuigkeit. Dann planten wir die weitere Vorgehensweise. Schließlich musste sie umziehen. Vorher jedoch sollte die von Gerd überlassene Behausung in einen bewohnbaren Zustand gebracht werden. Gerd selbst wohnte nämlich seit ein paar Jahren nicht mehr wirklich da, weil er es bei seiner Lebensgefährtin gemütlicher und bequemer fand. Ganz aufgeben wollte er die Wohnung aber bisher auch nicht. Ab und zu ging er ja noch in seine alte Wohnung, wahrscheinlich bei Streit oder um einfach mal seine Ruhe zu haben. Auf jeden Fall aber, um in der Wohnung etwas zu lagern. 

 

Gerd ist ein Sammler. Er sammelt eigentlich fast alles, wovon er annimmt, es mal brauchen zu können. Dazu gehörten damals zum Beispiel auch große schwere Glasbildschirme von alten Röhrenfernsehern - daraus gedachte er eines Tages Zimmerspringbrunnen zu bauen... Von diesen Glasungetümen hatte er etliche. Die Wohnung hatte eine schöne Raumhöhe von fast vier Metern und war buchstäblich bis unter die Decke vollgestapelt. Zwischen den Bergen an Sammlergut existierten kleine Trampelpfade durch die Wohnung. Aber ansonsten war alles voll.

 

Wir haben drei Tage lang von früh bis abends zu zweit alles rausgeschleppt und in den Müll verteilt. Darunter leider auch einige Säcke mit Kleinteilen (Schrauben, Muttern, Unterlegscheiben, Splinte), was mir damals schon sehr leid tat - aber wir hatten keine Verwendung und wollten das loswerden. Ebay gabs noch nicht. Dieses "Schüttgut" verteilten wir in die Müllcontainer. Nicht alles in einen, damit der nicht unnötig schwer wurde. Wenn der Container so mit Stahl gefüllt würde bis zum Rand...... Wir taten unser Bestes.

 

Neugierige Nachbarn, meist alte Damen, beobachteten unser Tun. Eine wagte sich gar bis in die Wohnung zu uns vor. Sie guckte neugierig und sagte: "Wird ja auch Zeit, dass hier mal jemand aufräumt. Ich hatte schon Angst, es gibt Tiere in der Wohnung." Was für welche, sagte sie nicht. Ich nehme an, sie meinte nicht Gerd.

 

Als der Müll abgeholt wurde, stellten wir uns etwas abseits und rauchten eine. Mit möglichst unbeteiligter Miene. Als "unser" schwerster Müllcontainer (der mit den meisten Kleinteilen) an das Müllauto angedockt wurde, um über die Kippvorrichtung ins Wageninnere ausgekippt zu werden, schauten wir uns kurz an. Jede dachte, möge es bitte gut gehn.

 

Der Container wurde angehoben, hing kurz fest, kreischte. Kriegte einen neuen Schub und erreichte quietschend den Übergabepunkt oben am Fahrzeug. Es krachte ohrenbetäubend laut, dann war das Behältnis leer und wurde wieder unten abgestellt. Bei den anderen Behältern beobachteten wir nichts Auffälliges. Wir waren froh.

 

Nach dieser Aktion stand nur noch ein Haufen Sperrmüll in einer Hofecke, der demnächst auch abgeholt werden würde. Die Wohnung war bis auf noch Brauchbares tatsächlich leer. Unglaublich groß war jetzt das einzige Zimmer. Schön hoch mit zwei riesigen Fenstern in den Hof. Wirklich gut.

 

Wir prüften den Sitz der siebziger-Jahre-Tapete. Die saß bombenfest und glatt. Gerd war, wenn er wollte , ein geschickter Handwerker. Was er einmal angeklebt hat, geht nie wieder ab. Also testeten wir die Deckkraft unserer Wandfarbe in lachsrot in einer Ecke. Nachdem sich die Farbe als ausreichend für diesen Untergrund erwiesen hatte, überstrichen wir die braungelbe Blumenlandschaft an Gerds Wand im Wohnzimmer mehrfach. Einige Tage später waren wir fertig. Wohnzimmer in lachsrot, es strahlte, wir auch.

 

An die Farbgebung der anderen Räume kann ich mich nicht erinnern - ich glaube, die Küche war hellblau. Es war sehr schön geworden. Im Bad stand eine große Badewanne. In der Küche hatten wir Gerds altes Küchenbuffet, ein kleines süßes Modell aus den 1930er Jahren mit Milchglasfenstern, gereinigt und schick gemacht. Im Wohn-Schlaf-Raum kam ein altes Wandbett zum Einsatz. Das sah wie ein ehrbarer halbhoher Holzwandschrank (massiv) aus, konnte aber aus seinem Inneren ein bequemes Bett in französischer Breite hervorzaubern.

 

Wir waren mit dem Ergebnis zufrieden. Meine Freundin zog endgültig ein. Dann feierten wir den Abschluss dieses "Wohnungsprojektes" und betranken uns an diesem Abend ganz ordentlich, irgendwo in Berlin.

 

Am nächsten Tag waren wir sehr grau. Wir hatten aber beschlossen, eine Runde durch Berlin Mitte zu bummeln und uns paar neue Klamotten zu gönnen, wenn sich etwas Schönes finden sollte. Und weil wir keine Weicheier waren, rafften wir uns auf und gingen los.

 

 

Bild 2: www.blutsgeschwister.de: Roswithas Dolce-Vita-Dress: so ähnlich wie das Berliner Kleid.

Bild 3: Farbe lachsrot / www.biobauhandel.de

Bild 4: So ein Küchenbuffet war das. / www.picclick.de

Wir durchforsteten einige Geschäfte, an Genaueres kann ich mich nicht erinnern. Aber dann:

 

In einer kleinen Boutique fand ich ein Kleid, dass mir gut gefiel. Es war ein Sommerkleid. Schmal geschnitten, aus anschmiegsamem Jersey, kniekurz. Das Tolle war die Farbe. Es war kornblumenblau gemustert, mit ganz kleinen Ornamenten, so wie Mini-Paisley. Ein schönes Teil. Und blaue Sachen hatte ich zu der Zeit fast nicht. Alles war rot, schwarz und pink. Ich nahm das Kornblumenblaue am Bügel von der Kleiderstange und trat vor den Spiegel, um es mir mal anzuhalten.

 

Da kam die Verkäuferin, eine schicke ältere Dame und im Gegensatz zu uns ganz und gar nicht grau. Sie musterte mich unbehaglich. Ihr Gesichtsausdruck drückte große Unzufriedenheit aus. Scheinbar fand sie, dass mir dieses Kleid nicht besonders gut stand, vorsichtig ausgedrückt. Ich sah bestimmt aus wie Fanny im Gaslicht - also furchtbar.

 

Dann sprach die Verkäuferin:

 

"Nehmen Sie es doch in rot, das belebt sie ein bisschen."

 

Ich war fertig.

 

 

Das Kornblumenblaue kam wieder an seinen Platz. Wir verließen den Laden. Wo der genau war, weiß ich nicht mehr. Ich würde auch heute nie wieder da hin gehn, auch wenn die nette Dame sich möglicherweise die Radieseln längst von unten anguckt.

 

***

 

Gerade blühen ja die Kornblumen wieder auf den Feldern. Der Maulwurf hat ein paar gepflückt und sie für mich in die Vase gestellt.  Er ist wie immer sehr aufmerksam und findet, dass mir meine Kleider gut stehen. Auch in blau.

 

Diese Farbe haut mich jedesmal um, oder ? Was sagst Du dazu ?

 

Bild 5: www.schwarzundweiss.com